Wie funktioniert eigentlich? - Kurven-ABS bei Motorrädern

Seit etwa zehn Jahren ist das Kurven-ABS bei Motorrädern auf dem Vormarsch. Mittlerweile wird es sogar in der Einstiegsklasse angeboten. Das Potenzial der Technik, Stürze zu verhindern, ist jedenfalls groß.

Wie funktioniert eigentlich? - Kurven-ABS bei Motorrädern
Auf einer Suzuki GSX-S 1000 GX muss der Fahrer keine Angst haben, in Kurven zu Bremsen. Das serienmäßige Kurven-ABS hält die Fuhre stabil auf Kurs Foto: Suzuki

Motorradfahren ist ein Erlebnis für die Sinne - vor allem, wenn man mit ordentlich Schräglage durch die Kurven fegt. Doch die Kurvenfahrt hat ihre Tücken, die sich mit Hilfe eines kurvensensiblen Antiblockiersystems zumindest teilweise entschärfen lassen. Das intelligente Regelsystem, meist als Kurven-ABS bezeichnet, gilt als eine der wichtigsten Innovationen in der Motorradtechnik der letzten Jahre. Bei vielen neuen Motorrädern ist es bereits serienmäßig an Bord.

Die Geschichte des Antiblockiersystems (ABS) reicht bis in die 1970er Jahre zurück. Damals wurden die ersten Autos mit einer frühen Technik ausgestattet, bei Motorrädern folgten die ersten Systeme erst Ende der 80er Jahre. Ein Grund für die spätere Verbreitung liegt in den besonderen fahrphysikalischen Herausforderungen von Einspurfahrzeugen: Sie sind leichter, haben eine kleinere Kontaktfläche zwischen Reifen und Fahrbahn und neigen bei Vollbremsungen schneller dazu, in eine physikalisch kritische Phase einzutreten. Ein schneller und einfacher Technologietransfer vom Auto zum Motorrad war daher nicht möglich. Erst in den 1990er Jahren standen wirksame und kompakte ABS-Systeme für Motorräder zur Verfügung, die seit mittlerweile vielen Jahren sogar zur Pflichtausstattung von Neufahrzeugen gehören.

Das klassische Motorrad-ABS sorgt dafür, dass die Räder beim Bremsen nicht blockieren, wodurch typische Stürze bei Vollbremsungen auf gerader Strecke in der Regel vermieden werden. Insbesondere in Kurven stößt die Regeltechnik jedoch an Grenzen, die erst durch das Kurven-ABS überwunden werden konnten. In Kurven sind Motorräder aufgrund ihrer Schräglage besonders instabil. Muss der Fahrer in einer Kurve plötzlich stark bremsen, ist die Gefahr besonders groß, dass das Vorderrad blockiert und das einspurige Fahrzeug ins Schleudern gerät. Einfaches ABS kann in solchen Situationen nur bedingt helfen, einen Sturz zu verhindern, da es nicht sensibel genug auf die Schräglage und die dynamischen Kräfte in einer Kurvensituation reagieren kann.

Um eine kurvenempfindliche Regelung der Funktion zu ermöglichen, wird beim Kurven-ABS das heute übliche Motorrad-ABS mit einer 3D- oder 6D-Inertialsensoreinheit (IMU) kombiniert. Mit Hilfe der IMU und einer Reihe von Sensoren können Parameter wie Schräglage und Fahrdynamik des Zweirads erfasst werden. Die IMU ermittelt beispielsweise Beschleunigung, Winkelgeschwindigkeit sowie Neigungs- und Nickwinkel, während die Raddrehzahlsensoren die Drehzahl von Vorder- und Hinterrad messen. Mit Hilfe dieser Daten optimiert das Kurven-ABS die Stabilität und Bremswirkung speziell in Kurven. So kann die Technik das Ausbrechen oder Aufstellen beim Bremsen in Kurven verhindern und damit viele typische Motorradunfälle vermeiden.

Gleichzeitig wird die Bremswirkung optimiert, um den Bremsweg zu verkürzen. Mit zunehmender Schräglage wird der Bremsdruckgradient zu Beginn der Bremsung immer weiter begrenzt. Dadurch wird der Druckaufbau verlangsamt. Außerdem wird die Druckmodulation im Bereich der ABS-Regelung gleichmäßiger. Ein feinfühliges Ansprechverhalten sowie hohe Brems- und Fahrstabilität bei bestmöglicher Verzögerung auch in Kurven sind die Vorteile.

Häufig arbeitet das Kurven-ABS mit anderen Assistenzsystemen wie der Traktionskontrolle zusammen, um die Sicherheit weiter zu erhöhen. Diese aufeinander abgestimmten Systeme verhindern beispielsweise das Durchdrehen des Hinterrades bei starkem Beschleunigen in der Kurve. Wäre jedes Motorrad mit dem Regelsystem Kurven-ABS ausgestattet, ließe sich nach einer Untersuchung der Bosch-Unfallforschung jeder dritte Motorradunfall mit Personenschaden in Deutschland vermeiden oder zumindest mindern.

Das Angebot verfügbarer Kurven-ABS-Varianten umfasst mittlerweile verschiedene modulare Lösungen mit unterschiedlichen Kombinationen aus ABS und IMU. So wird bei günstigeren Motorradmodellen oft ein kompaktes ABS mit einer kostengünstigeren 3D-IMU kombiniert. In höherpreisigen Segmenten sind mittlerweile 6D-IMU und ABS und weiteren Regelsystemen kombiniert.

Trotz seiner Vorteile hat Kurven-ABS unabhängig von seiner Evolutionsstufe physikalische Grenzen. Wenn ein Fahrer beispielsweise zu schnell in eine Kurve einfährt oder extreme Schieflagen erreicht, kann die Regelelektronik einen Sturz nicht immer verhindern. Der Fahrer muss also sein Können und das Risiko der Situation richtig einschätzen. Kurven-ABS ist nur ein weiteres Sicherheitsnetz, welches unerwartet gefährliche Situationen entschärfen kann.

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