Technologie & Verkehr

Automatisiertes Fahren: Wie schnell kann ein Fahrer übernehmen?

Automatisiertes Fahren: Wie schnell kann ein Fahrer übernehmen?
Testfahrten auf dem Dekra-Lausitzring. Foto: Autoren-Union Mobilität/Dekra

Mit der Einführung des hoch- und vollautomatisierten Fahrens wird sich die Rolle des Autofahrers verändern, denn unter bestimmten Umständen sind Nebentätigkeiten erlaubt. Vorgesehen ist aber, dass der Fahrer innerhalb weniger Sekunden wieder übernehmen muss, wenn das System dazu auffordert. Was aber, wenn in einer kritischen Situation diese Aufforderung ausbleibt? Eine Studie von Dekra und der TU Dresden zeigt: In Sachen ,,Multitasking" hat die menschliche Leistungsfähigkeit Grenzen.


Dr. Thomas Wagner, Verkehrspsychologe und Leiter der Begutachtungsstellen für Fahreignung bei Dekra, mahnt, in solchen Fällen einer nicht erfolgten Warnung oder Aufforderung ,,müssen an die technische Reife automatisierter Fahrfunktionen höchste Ansprüche gestellt werden". Es sei unerlässlich, im Rahmen des Genehmigungsprozesses sicherzustellen, dass das System dem Menschen unter keinen Umständen eine plötzliche Übernahme zumuten wird.

Gerade beim Aspekt der ,,stillen Alarme" - also die fehlende Aufforderung des Systems zur Übernahme - gibt es aus Sicht der Experten bisher eine Forschungslücke. Weniger als zehn Prozent bislang publizierter Arbeiten befassen sich mit so genannten ,,Disengagement-Situationen", also einem fehlerbedingten Systemausfall. ,,Der wahrscheinlich sicherheitskritischste Aspekt der hochautomatisierten Fahraufgabe ist in der bisherigen Forschungslage stark unterrepräsentiert", so Wagner. ,,Wir müssen die Frage diskutieren, ob eine Nebentätigkeit in Kombination mit einem Mindestmaß an Überwachung des Fahrsystems und der Verkehrslage, so wie sie das Gesetz in seiner aktuellen Form vorsieht, überhaupt menschenmöglich und sicher ausführbar ist", mahnt der Experte.

Im Dezember 2021 ist das erste Fahrzeugsystem des hoch automatisierten Fahrens (Level 3) in Europa durch das Kraftfahrtbundesamt offiziell zugelassen worden. Wer künftig mit diesem Stauassistenten unterwegs ist, darf sich - auf Autobahnen und ähnlichen Straßen, bis zu einer Geschwindigkeit von 60 km/h und unter weiteren Rahmenbedingungen - ,,vom Verkehrsgeschehen und der Fahrzeugsteuerung abwenden", so steht es in §1b des Straßenverkehrsgesetzes. Gleichzeitig muss er aber ,,wahrnehmungsbereit bleiben", um jederzeit wieder zu übernehmen, wenn er durch das Fahrzeugsystem dazu aufgefordert wird oder wenn er erkennt, ,,dass die Voraussetzungen für eine bestimmungsgemäße Verwendung der hoch- oder vollautomatisierten Fahrfunktionen nicht mehr vorliegen".

Verkehrspsychologen von Dekra haben gemeinsam mit Wissenschaftlern vom Lehrstuhl der Ingenieurpsychologie der Technischen Universität Dresden untersucht, ob sich beides in der Praxis miteinander verbinden lässt - sich von der Fahrzeugsteuerung abzuwenden und zugleich wahrnehmungsbereit zu bleiben und bei Fehlern schnell einzugreifen. ,,Der Wechsel vom passiven Überwacher zum aktiven Operator als Reaktion auf die Systemaufforderung ist für den Menschen schon mit einigen Sekunden Vorwarnung durchaus anspruchsvoll", so Wagner. ,,Fahrende müssen rasch ein System- und Situationsverständnis aufbauen, innerhalb von Sekunden wichtige Entscheidungen treffen und sie in eine adäquate Fahrhandlung umsetzen."

Bei der Studie wurde der Rundkurs auf dem Gelände des Dekra-Lausitzrings mehrmals durchfahren, die Höchstgeschwindigkeit lag bei 50 km/h. Während der Testfahrten mit einem prototypisch für Versuche zum vernetzten und hoch automatisierten Fahren modifiziert Fahrzeug wurden jeweils ein ,,falscher Alarm" und drei ,,stille Alarme" ausgelöst. In einem Fall gab das Fahrzeug eine Übernahmewarnung ab, ohne dass tatsächlich eine kritische Situation gegeben war. Die drei stillen Alarme betrafen das Überfahren einer Haltelinie mit Stoppschild, das langsame Abdriften auf die Gegenfahrbahn und das plötzliche Ausweichen vor einem irrtümlich erkannten Hindernis.

Ein Teil der Probanden hatte den Auftrag, als passive Überwacher die automatisierte Fahrt zu verfolgen und einzugreifen, wenn sie es für notwendig hielten. Eine zweite Gruppe sollte während der automatisierten Fahrt zusätzlich eine visuell beanspruchende Nebentätigkeit erledigen. Insgesamt erwies sich die Übernahme nach einem ,,falschen Alarm" als wenig problematisch: Alle Probanden übernahmen erfolgreich die Fahrzeugsteuerung. ,,Beim stillen Alarm sah das anders aus", bilanziert Wagner. ,,Hier gab es deutliche Schwierigkeiten bei der Übernahme - und zwar ebenfalls in beiden Gruppen. Allerdings war die nicht erfolgreiche Übernahme in der Gruppe mit Nebentätigkeit über alle Szenarien hinweg etwa doppelt so häufig."

Mit der Nebentätigkeit sinkt also die Wahrscheinlichkeit für eine erfolgreiche Übernahme beim ,,stillen Alarm". Auffällig war für die Verantwortlichen der Studie aber, dass auch Personen ohne Nebentätigkeit teilweise erhebliche Schwierigkeiten hatten. (aum)

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