Test: Stromer ST5 Pinion ABS - Einspur-Porsche mit Pedalantrieb

Pinion Smart-Shift und ABS heben das S-Pedelec Stromer ST5 auf ein höheres Niveau. Der Flitzer hat Suchtpotenzial, kostet allerdings. Und provoziert.

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An der Sattelstrebe lassen sich zusätzliche Schrauben erkennen, die das Einfädeln vom einteiligen Riemenantrieb ermöglichen Foto: SP-X/Mario Hommen

Lange Zeit hat die E-Bike-Marke Stromer ihre schnellen Pedelecs ausschließlich mit Kettenschaltungen kombiniert, weil den sauberen Nabenschaltungen der mittig im Hinterrad platzierte E-Motor im Weg ist. Als Kompromiss entdeckten die Schweizer vor einigen Jahren die Kombination mit dem Mittelgetriebe von Pinion, das den Verzicht auf viele Zahnräder und den Einsatz eines Zahnriemens statt einer Kette erlaubt. Diese technisch anspruchsvolle und zugleich optisch ansprechende Lösung gibt es beim mittlerweile serienmäßig mit ABS ausgestatteten ST5 auch mit der elektrischen Schaltungslösung Smart.Shift, die das alltagstauglich optimierte S-Pedelec noch weiter aufwertet.

Bereits 2018 hat uns Stromer ein ST5 zur Verfügung gestellt. Im Vergleich zur Ursprungsversion ist das aktuelle 5er in vielen Details sichtlich gereift. Am Rahmen fallen keine sichtbaren Schweißnähte auf. In der rechten Sattelstrebe entdeckt man zusätzliche Verschraubungen, die das Einfädeln des einteiligen Riemenantriebs erlauben. Große Kettenblätter vorne oder die Kassette mit ihren vielen Ritzeln stören das Auge des Betrachters nicht mehr. Entsprechend aufgeräumt wirken der Antriebsbereich und das gesamte Bike, das dank der im unteren Bereich des Rahmens formschlüssig integrierten Pinion-Komponente dennoch 9 Übersetzungsstufen bereithält, die sich mit leichten Daumendruck schnell und präzise schalten lassen.

Nach wie vor wirkt das ST5 wuchtig, denn wie fast alle Pedelecs mit Intube-Akku ist das Unterrohr vom Typ XXL. Unser Testexemplar trägt eine entsprechend mächtige Batterie mit 983 Wh im Akkuversteck. Das Unterrohr mag absurd voluminös wirken, aber gleichzeitig steht das Stromer auf korrespondierend voluminösen Reifen von Pirelli und trägt vorne die optionale USD-Federgabel von Wren, die mit ihren fetten Standrohren fast schon Motorraddimensionen erreicht.

Stromer-typisch ist im Oberrohr des ST5 ein kleiner Farb-Touchscreen untergebracht, der als Anzeige- und Bedienzentrale dient. Über das Display lässt sich der E-Antrieb per Zahlencode freischalten. Etwas Konzentration ist angesichts des schmalen Eingabefeldes erforderlich. Doch mit ein wenig Übung findet man sich hier und in den Tiefen der vielschichtigen Menüführung schnell zurecht. Vieles lässt sich - alternativ auch über die Stromer-App - einstellen. Bremsen, Rekuperationsstärke, Antriebscharakteristik - wer sich die Zeit nimmt, kann hier viel entdecken. Und optimieren.

Ein bisschen Zeit darf man sich schon nehmen, denn mit dem ST5 kann man auch Zeit sparen. Zum Beispiel auf unserem täglichen Weg zur Arbeit. Für die 10 Kilometer brauchen wir mit dem Fahrrad oder Pedelec normalerweise rund 30 Minuten. Mit dem ST5 sind es dank Motorunterstützung bis 45 km/h weniger als 20 Minuten. Woche für Woche lassen sich so zwei Stunden einsparen.

An der Grauzonenproblematik der Kategorie S-Pedelec kann das ST5 trotz seiner technischen Weiterentwicklung allerdings nichts ändern. Nach wie vor sind Radwege für S-Pedelecs weitgehend tabu, so dass man auf Autostraßen ausweichen muss, was Autofahrer vielerorts als Provokation empfinden. Tempo 45 ist vielen zu langsam, Verkehrsteilnehmer mit Pedalantrieb ein Ärgernis. Gefühlt ist das Klima in diesen Tagen sogar rauer als noch vor einigen Jahren, denn statt vorausschauend zu fahren, erleben wir die Überholmanöver der fast immer unter Zeitdruck stehenden Autofahrer impulsiver denn je.

Dabei ist der ST5 wirklich schnell. Bei Ampelsprints mit maximaler Unterstützung erlebt man vielmehr die Autos oft als Hindernis. Mit der richtigen Schaltstrategie, und hier scheint die Smart.Shift ein echter Gewinn zu sein, mutiert das Stromer zum einspurigen Porsche. Für fast jede Situation findet sich die passende Übersetzung und die richtige Trittfrequenz, um auch über längeren Distanzen hinweg 40 km/h und mehr zu fahren. Auch bergauf. Hohes Tempo, das ist die Kehrseite der Medaille, sorgt für hohen Stromverbrauch. Stromer verspricht eine Reichweite im dreistelligen Bereich, die sich bei energieintensiver Fahrweise in unserem Fall auf etwa 50 Kilometer reduziert.

Im Vergleich zum ersten ST5-Test gefielen uns am neuen Modell neben der Smart.Shift auch die optionalen Federelemente. Neben der bereits erwähnten Federgabel ist auch die Kinekt-Sattelstütze mit besonderen Nehmerqualitäten gesegnet. Etwas gewöhnungsbedürftig ist das im Vergleich zum ungefederten ST5 zunächst etwas unentschlossen erscheinende Fahrverhalten, doch die dämpfenden Elemente filtern viel im Gegenzug auch viel von den bei höheren Tempi eskalierenden Härten unserer Straßen weg. Alles, der Reifendruck und die Härte von Federgabel und Sattelfederung, lässt sich anpassen. Auf das Gewicht des Fahrers und seine persönlichen Vorlieben. Insofern dürfte man auch nach einer Eingewöhnungsphase Frieden mit dem Fahrwerk finden.

Auch die Bremsanlage mit 20-Zentimeter-Scheiben von TRP und Blubrake-ABS kann sich sehen lassen. Vollbremsungen, bei denen die Verzögerungsleistung der Bremsen auf Wunsch sehr hoch sein kann, sind sturzsicher. Fast wie bei einem Motorrad erlebt man das Bremssystem in Bezug auf Effektivität, Dosierbarkeit und Sicherheit.

Keine Frage, die Technik des ST5 mit Pinion Smart.Shift ist im E-Bike-Bereich imposant. Aber 11.000 Euro Grundpreis bzw. 12.200 Euro mit Federelementen sind für ein Fahrrad mit Hilfsmotor einfach zu viel. Günstigere Mobilitätsalternativen vom Sportmotorrad über den E-Scooter bis zum Dacia Sandero gibt es zuhauf. Wenn man aber die hohe Qualität des ST5 und die edlen bis sehr edlen Komponenten erlebt, kann man sogar Verständnis für diesen Preis aufbringen.

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