Fahrbericht: Yamaha Tricity 300 - Japan-Dreirad für die Mittelklasse

Mit dem Autoführerschein darf man auch Motorradfahren - oder so etwas ähnliches. Yamaha spielt jetzt in der dazu passenden Dreiradklasse mit und hat auch das Bremspedal nicht vergessen.

Erstmals wagt sich ein japanischer Hersteller ins Roller-Dreirad-Geschäft, das ansonsten vom Piaggio-Konzern mit seinem MP3 dominiert wird. Yamaha kreuzt sein Dreirad-Konzept des 125er-Tricity-Rollers mit dem aufsehenerregenden Dreirad-Motorrad Niken, heraus kommt der neue Tricity 300. Und dieser ist ein wirklich mächtiges Fahrzeug mit einer voluminösen Frontverkleidung, die mit luftigen Radausschnitten, kleinen LED-Tagfahrlichtern und mittigem LED-Scheinwerfer sehr aggressiv auftritt.

Anders als beim Tricity 125 hat Yamaha beim 300er Wert daraufgelegt, diesen auch für Autoführerscheinbesitzer fahrbar zu machen. Die dafür geforderte Spurweite von 46 Zentimetern übertrifft der Tricity um einen Zentimeter, auch das vorgeschriebene Fußpedal, das die Bremsen allesamt gleichzeitig betätigt, ist an Bord. Somit dürfen sich auch Inhaber der Klassen 3 und B (sofern vor dem 18.01.2013 erteilt) auf den Tricity 300 schwingen.

Die stellen dann fest, wie großzügig es hier zugeht: Die geräumige Sitzbank erfüllt alle Komfortansprüche und bietet vorn wie hinten jede Menge Platz. Der Lenker liegt vielleicht eine Spur zu tief für das mit 79,5 Zentimetern Höhe recht niedrige Polster, das Trittbrett dagegen für Langbeinige etwas zu hoch, auch wenn der Kniewinkel grundsätzlich in Ordnung geht.

Gestartet wird mittels schlüssellosem Transponder-System: Mit dem Sender in der Tasche lassen sich über einen Drehknauf das Lenkschloss, die Zündung und über darunterliegende Tasten die Sitzbank und der Tankverschluss öffnen. Für den Vortrieb ist der 300er-BlueCore-Motor zuständig, der auch den XMAX 300 antreibt. Der flüssigkeitsgekühlte Einzylinder mit 292 Kubikzentimetern Hubraum zählt zu den modernsten Aggregaten des Segments mit einteiliger geschmiedeter Kurbelwelle und Semi-Trockensumpfschmierung. So stehen dem Tricity-Treiber ebenfalls 28 PS und ein Drehmoment von 29 Newtonmeter zur Verfügung, die mit dem Gewicht von 239 Kilogramm akzeptabel zurechtkommen. Ein Sprintkönig ist der Tricity aber nicht, er erfreut eher mit seiner gleichmäßigen Leistung, die ihn maximal bis auf 126 km/h beschleunigt.

Das hohe Gewicht kommt natürlich durch die Yamaha-eigene Neigetechnik Leaning Multi Wheel (LMW) an der Front zustande. Hier führen Tandem-Telegabeln die beiden Räder unabhängig voneinander. Während die hinteren Gabelholme die Führungsarbeit übernehmen, besorgen die vorderen die Dämpfung. Die Gabeln sind wie üblich über ein quer zur Fahrtrichtung angeordnetes Parallelogramm-Gestänge miteinander verbunden, anders ist eine quer zur Fahrtrichtung verlaufende Spurstange. Das zeigt Wirkung: Weil diese Strebe kürzer als der Abstand zwischen den Schwenkachsen der beiden Doppelgabeln ist, entstehen beim Lenken ungleich lange Hebelarme. In der Folge wird das kurveninnere Rad stärker geneigt und legt einen kleineren Radius als das äußere zurück - das macht die Kurvenfahrt deutlich zielgenauer und homogener als bei anderen Dreirädern.

Schon unmittelbar nach dem Losfahren stellt sich ein Vertrauen erweckendes Fahrgefühl ein - trotz der Fahrzeugmasse macht der Tricity keinen unbeweglichen Eindruck. Mit beherztem Körpereinsatz folgt es angenehm präzise der vorgegebenen Linie und lässt sich auch von Bodenunebenheiten nicht von der Linie abbringen - die Telegabeln dämpfen und federn viel der Unannehmlichkeiten weg. Die mit 14 Zoll vergleichsweise großen Räder sorgen für viel Fahrstabilität und guten Abrollkomfort, die Fahrwerksabstimmung bietet insgesamt ein hohes Komfortniveau.

Erstmals bei Yamaha lassen sich die beiden Vorderräder arretieren. Das ,,Standing Assist-System", über eine Taste an der Vorderseite der linken Lenkerarmatur aktiviert, blockiert das Parallelogrammgestänge und hält den Roller beim Anhalten aufrecht - sofern die Geschwindigkeit unter 10 km/h gesunken ist. Allerdings bleibt die Feder- und Dämpfungsfunktion der beiden Doppelgabeln erhalten, dadurch bleibt die Front flexibel und kann auf Bodenunebenheiten reagieren. Das erhöht den Komfort, die Sicherheit und macht das Rangieren leichter. Befinden sich die Räder aber nicht in perfekter Nulllage, vermittelt das System ein nicht sonderlich stabiles Gefühl.

Zum Wieder-Anfahren sollte man nicht zu zögerlich Gas geben, damit sich ausreichend stabilisierende Kreiselkräfte für eine sichere Geradeausfahrt ergeben. Apropos Sicherheit: Das Fußbremspedal als notwendiges Übel für die PKW-Führerscheineignung ist so geschickter integriert, dass es kaum stört - sich aber auch kaum betätigen lässt. Die beiden Bremshebel am Lenker lassen sich wesentlich virtuoser bedienen, auch wenn sie für eine gute Wirkung kräftig gezogen werden wollen.

Zu so viel technischer Raffinesse gesellen sich gute Tourentugenden durch ein riesiges Staufach unterm Sitz und bester Wind- und Wetterschutz hinter der etwas zu hohen Scheibe. Alles kommt in hochwertiger Verarbeitung, und doch ist der Preis von 8.187,26 Euro für Yamahas Premiere im Autofahrerland alles andere als ein günstiger Einführungspreis.



Technische Daten Yamaha Tricity 300

Motor:  flüssigkeitsgekühlter Viertakt-Einzylinder, 292 ccm Hubraum, 20,6 kW/28 PS bei 7.250 U/min, 29 Nm bei 5.750/min; vier Ventile/Zylinder, ohc, Einspritzung, CVT-Automatik, Fliehkraftkupplung, Riemen-Sekundärantrieb

Fahrwerk: Stahlrohrrahmen; zwei 3,3 cm Doppel-Telegabeln vorne (nicht einstellbar), 10 cm Federweg; Triebsatzschwinge hinten, zwei Federbeine (Vorspannung einstellbar), 8,4 cm Federweg; Leichtmetall-Gussräder; Reifen 2x120/70-14 (vorne) und 140/70-14 (hinten). 26,7 cm Zweischeibenbremse vorne, 26,7 cm Einscheibenbremse hinten

Assistenzsysteme: ABS, Traktionskontrolle abschaltbar

Maße und Gewichte: Radstand 1,595 m, Sitzhöhe 79,5 cm, Gewicht fahrfertig 239 kg, Zuladung 172 kg; Tankinhalt 13 l

Fahrleistungen und Verbrauch: Höchstgeschwindigkeit 126 km/h, 3,7 l/100 km

Preis: 8.187,26 Euro

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