VDA. Jahrespressekonferrenz

Zum Jahresende: Ja zum Auto

Ola Källenius, Vorstandsvorsitzender der Daimler AG, und seine Kollegen, die über das Wohl und Wehe der deutschen Automobilhersteller und -zulieferer zu entscheiden haben, sind um ihre Jobs nicht zu beneiden. Handelskonflikte, Strafzölle, das Brexit-Dilemma, Dieselskandal, Fahrverbote und immer wieder neue Rückrufaktionen machen ihnen zu schaffen. Die Gefahr einer Rezession schwebt über den Unternehmen. Rückläufige Produktions- und Exportzahlen verhageln Bilanzen und Prognosen. Einige Autobosse sind zudem damit beschäftigt, die Scherben wegzuräumen, die ihre Vor- und Vorvorgänger in deren Hochzeiten unter den Teppich gekehrt haben. In dieser kritischen Situation freut man sich über jede gute Nachricht: In Deutschland werden 2019 voraussichtlich so viele Pkw neu zugelassen wie seit dem Abwrackprämienjahr 2009 nicht mehr.

3,6 Millionen werden es wohl sein. Diese Zahl nannte Bernhard Mattes, noch amtierender Präsident des Verbandes der Automobilindustrie (VDA), heute vor Journalisten in Berlin. Das Ergebnis ist nicht selbstverständlich in Zeiten, in denen das Auto als Prügelknabe für schlechte Luft und verstopfte Straßen herhalten muss. Doch die Treue der Deutschen zu ihrem vermeintlich liebsten Kind hat einen guten Grund: Es ist für sie von größtem Nutzen.

Beruflich und privat. Autofahren ist längst kein Selbstzweck mehr. Man stelle sich vor, nur ein Bruchteil der Autofahrer würden auf Bahn, Tram oder Bus umsteigen, und die Millionen Tonnen Fracht, die Lkw transportieren, würden auf Eisenbahn und Binnenschiffe umgeladen. Na dann gute Nacht!

Die Wahrheit ist: Das Auto ist unverzichtbar. Das schließt nicht aus, dass wir es verantwortungsvoller einsetzen als bisher, uns zum Brötchenholen auf das Fahrrad setzen, unsere Kinder nicht mit dem SUV zur Schule kutschieren, auf öffentliche Verkehrsmittel umsteigen, wann immer dies möglich ist, oder mit Spaßmobilen wie E-Scootern die Städte durchqueren. Aber die Wahrheit verdeutlicht auch, wie wichtig es ist, das Auto technisch so umzurüsten, dass wir es auch übermorgen noch getrost nutzen können, um unseren Wohlstand und unsere individuelle Mobilität zu sichern. Die Hersteller investieren Milliarden in die Elektrifizierung und Digitalisierung ihrer Produkte, weil sie erkannt haben, dass sie nur so zukunftsfähig sein werden.

Während Umweltaktivistin Greta Thunberg als Gast auf einem Segelboot den Atlantik überquerte, um in diesen Tagen beim UN-Weltklimagipfel in Madrid zu Stelle zu sein, gingen in Stuttgart tausende Beschäftigte aus der Automobil- und Automobilzulieferindustrie auf die Straße, weil sie die berechtigte Sorge haben, dass sie die Elektrifizierung des Automobils in die Arbeitslosigkeit treiben könnte. Beide Aktionen sind sinnbildlich dafür, wie komplex die Zusammenhänge zwischen Ökonomie und Ökologie tatsächlich sind. Allen Anforderungen gleichermaßen gerecht zu werden, ist eine Herkulesaufgabe.

Sperrfeuer sind da wenig hilfreich. Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer erweist der notwendigen Transformation einen Bärendienst, wenn er sich auf Nebenschauplätzen lieber selbst inszeniert, anstatt zum Beispiel den raschen Ausbau dringend benötigter Elektroladestationen und eines leistungsfähigen Mobilfunknetzes auch in der Fläche zu forcieren. Ebenso wenig zielführend ist es, wenn der oberste Verkehrsgestalter der Nation die Automobilindustrie ausgerechnet jetzt ermahnt, auch noch für den raschen Ausbau der Wasserstoffmobilität zu sorgen, wo batteriebetriebene Autos und Plug-in-Hybrids nicht einmal richtig Fahrt aufgenommen haben. Das hätte es sich eher überlegen sollen.

Trotz des Lichtblicks bei den Neuzulassungen im deutschen Markt war 2019 kein gutes Jahr für die Automobilindustrie. Und im neuen Jahr sieht sich die Branche mit zusätzlichen Herausforderungen konfrontiert. Der massive Abbau von Arbeitsplätzen durch die fortschreitende Umstellung der Produktion auf E-Autos, Kosteneinsparungen zur Finanzierung der Gigaprojekte Elektromobilität und Digitalisierung sowie die Einhaltung der neuen EU-Grenzwerte für CO2-Emissionen zählen zu den Megathemen.
Hersteller und Importeure drücken sich gern um die Antwort auf die Frage, wie viel batteriebetriebene Pkw (BEV) und Plug-in-Hybride (PHEV) sie künftig auf die Straße bringen müssen, damit die Neuwagenflotte das CO2-Limit trotz gewisser Spielräume nicht reißen.

Opel verweist in diesem Zusammenhang beispielsweise darauf, ,,keine vertrieblichen Forecast-Zahlen übermitteln zu können, ohne wettbewerbsrelevante Daten zu kommunizieren." Ford beschränkt sich auf die Aussage: ,,Wir haben bisher jegliche Emissionsziele der EU erfüllt und sind überzeugt, dies auch bei den sehr herausfordernden Zielen ab 2020 zu erreichen." Einen Hinweis gab VW-Chef Herbert Diess in einer Telefonkonferenz mit Analysten. Um die strengeren CO2-Abgasregeln in der EU einzuhalten, sagte er, müsse VW im kommenden Jahr rund vier Prozent seiner Pkw mit batterieelektrischem Antrieb verkaufen, im Jahr danach acht Prozent. Peugeot hat sich für 2020 sogar zehn Prozent zum Ziel gesetzt - inklusive Plug-in-Hybride.

Übertragen auf die Pkw-Gesamtzulassungen würde die VW-Sollzahl bedeuten: In Deutschland müssten 2020 rund 140 000 neue batterieelektrische Fahrzeuge neu zugelassen werden. In diesem Jahr werden es knapp 65 000 sein. Hinzu kommen rund 40 000 Plug-in-Hybride. Die Zahl macht deutlich, wie sehr die automobile Wende von der Bereitschaft der Kunden abhängt, auf alternative Antriebstechniken umzusteigen. Halten die Hersteller die CO2-Grenzwerte für die Neuwagenflotte nicht ein, drohen ihnen empfindliche Strafen.

Es ist also durchaus angebracht, der Automobilbranche ein gutes neues Jahr zu wünschen mit sachlichen Debatten und Erträgen, die es ihr ermöglichen, den Erwartungen von über 800 000 Direktbeschäftigten, Millionen Kunden, Politik und Gesellschaft gerecht zu werden. Und wenn es dann noch gelänge, Krisen und Handelskonflikte zu vermeiden, anstatt sie zu schüren, könnte die Welt 2020 tatsächlich etwas besser werden - nicht nur für Deutschlands Schlüsselindustrie. (ampnet/rs)

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