Fahrbericht: Moto Guzzi V85 TT - Und es ward' Licht

Moto Guzzi hat der neuen V85 TT nicht nur das witzigste LED-Tagfahrlicht des Marktes spendiert, sondern könnte sich mit seinem jüngsten Modell in neue Höhen befördern.

Es ist seit Jahren nicht wirklich hell um Moto Guzzi. Die Marke, die in den 1950er Jahren acht Weltmeistertitel einfuhr und 2021 ihr 100. Gründungsjubiläum feiert, wird von den starken Armen der Piaggio Group über Wasser gehalten. Die Produktionszahlen sind nach wie vor ziemlich überschaubar. Doch es scheint Licht zu werden: Die jüngste von mehreren nur mäßig erfolgreichen Entwicklungen, die soeben in Produktion gegangene Moto Guzzi V85 TT, könnte es schaffen, als heilsbringende Lichtgestalt in den Firmen-Annalen genannt zu werden.Dreht der Fahrer den Zündschlüssel, beginnt ein Schauspiel: An der Front leuchtet der Guzzi-Adler auf, dessen ausgebreitete Schwingen sich quer über die Doppelscheinwerfer erstrecken. Anfangs nur der Körper, dann die Schwingen. Auch ein Symbol: Es wird Licht um die Marke Moto Guzzi. Anders als die schwächlichen V9-Modelle Roamer und Bobber, die exzentrische MGX-21 oder die monströse California 1400 hat die V85 TT das Zeug, sich auf dem Markt zu etablieren. Mit ihr steigt Moto Guzzi nach drei Jahren Abstinenz wieder in das Segment der Reiseenduros ein, diesmal in der Mittelklasse.Die Zutaten stellen einen neugierig machenden Mix aus hochmodernen wie klassischen Bauteilen dar: Der traditionelle Zweiventil-Zylinderkopf mit OHV-Ventilsteuerung und Luft-/Ölkühlung weist Titan-Einlassventile auf, des Fahrers Gas-Befehle werden elektronisch übermittelt. Das ermöglicht nicht nur die Installation von drei unterschiedlichen Motor-Mappings für Straße, Regen und Offroad samt verlinkter Regelung von Traktionskontrolle und ABS, sondern auch eine bei einer Reiseenduro durchaus nützliche automatische Geschwindigkeitsregelung.59 kW/80 PS bei 7.750 U/min sind als Höchstleistung für den V2 angegeben, dessen mächtige Zylinder seitlich unterm Tank in den Fahrtwind ragen, 80 Newtonmeter bei zivilen 5.000 Touren notieren als Drehmoment-Maximum. Sobald die Drehzahl-Anzeige im etwas verspielt wirkenden TFT-Display gut 3.000 U/min anzeigt, ist das Triebwerk sehr präsent und drückt die vollgetankt 229 Kilogramm schwere Guzzi nachdrücklich nach vorn. Um die 6.000er Marke herum kommt unter kräftigem Grollen aus dem Ansaugtrakt auch Spritzigkeit auf. Wer von der TT - die Abkürzung steht für ,,tutto terreno", auf Deutsch ,,fährt in jedem Gelände" - Quirligkeit erwartet, liegt falsch: Ihre Stärke ist souveränes Gleiten, gerne auch sehr flott.Denn ihr Fahrwerk mit recht schmal bereiften Speichenrädern, vorn 19, hinten 17 Zoll, ist bestens geraten: Stabil bei allen Tempi, agil genug für den flotten Kurvenswing auf sardischen Berg- und Küstenstraßen. Die einstellbare USD-Gabel wie das ebenfalls einstellbare Zentralfederbein bieten dabei auch auf schlechten Strecken guten Komfort, die Grundabstimmung ist eher straff.  Ein sehr gutes Gefühl vermitteln die drei Scheibenbremsen, auch das ABS regelt zeitgemäß fix und hält die Guzzi sauber in der Spur. Jenseits des Asphalts, wo Reiseenduros ja durchaus gelegentlich bewegt werden, macht die TT ihre Sache so gut, wie 17 Zentimeter Federweg und 21 Zentimeter Bodenfreiheit es eben zulassen. Ein großes Plus stellt der kräftige Alu-Motorunterschutz dar.Insgesamt liegt der Guzzi cooles Enduro-Wandern mehr als rallyeartiges Treiben. Der Offroad-Fahrmodus (ermöglicht viel Schlupf am Hinterrad, deaktiviert das Hinterrad-ABS und lässt dem Vorderrad-ABS mehr Freiheiten) ist nützlich, die Ergonomie (Lenker, Fußrasten, Knieschluss im Stehen) macht das sichere Dirigieren der V85 in kniffligen Situationen einfach. Da hilft auch der stets gut durchziehende V2, der auch sehr niedertouriges Fahren klaglos erträgt.In das TT-Paket haben die Entwickler eine Menge hineingepackt: Eine beachtliche Zuladung von 219 Kilogramm bei einem akzeptablen Leergewicht von 229 Kilo mit gefülltem 23-Liter-Tank, eine moderate Sitzhöhe von 83 Zentimetern (mit Sonder-Sitzbänken auch mehr bzw. weniger möglich), eine große Reichweite von mehr als 400 Kilometern, stabile Speichenräder mit angenehm schmaler Bereifung zugunsten großer Handlichkeit und, nicht zu vergessen, den wartungsarmen Kardanantrieb, ein Alleinstellungsmerkmal in der Mittelklasse. Zudem findet sich im Cockpit ein TFT-Display mit hohem Info-Gehalt, dessen Oberfläche allerdings etwas verspielt gestaltet ist.Für dieses Paket erscheinen 11.990 Euro für die unifarbene Version nicht zu viel. 310 Euro mehr kostet die mehrfarbige Variante mit Gelb oder Rot, stets mit keck rotlackiertem Gitterrohrrahmen. Sie rollt auf Reifen des Typs Michelin Anakee Adventure, während die edler wirkende Uni-Version mit Metzeler Tourance Next besohlt ist. Letzterer ist eine Bank auf Asphalt, der Michelin einen Tick griffiger auf losem Untergrund. Man darf angesichts der recht geringen Bereifungsunterschiede also den persönlichen Stil entscheiden.

Technische Daten - Moto Guzzi V85 TT:
Motor:  Luftgekühlter Zweizylinder-V-Motor (90°), 2 Ventile pro Zylinder, OHV, 853 ccm Hubraum, 59 kW/80 PS bei 7.750 U/min, 80 Nm bei 5.000/min; Einspritzung, 6 Gänge, Kardanantrieb.
Fahrwerk: Stahl-Gitterrohrrahmen; vorn USD-Telegabel ø 41 mm, Vorspannung und Zugstufendämpfung einstellbar, 17 cm Federweg; hinten Leichtmetall-Zweiarmschwinge, Zentralfederbein, Vorspannung und Zugstufendämpfung einstellbar, 17 cm Federweg; Leichtmetall-Speichenräder; Reifen: 110/80-19 (vorn) und 150/70-17 (hinten). 32 cm Doppelscheibenbremse mit radialen Vierkolbenzangen vorne, 26 cm Einscheibenbremse mit Zweikolbenzange hinten.
Assistenzsysteme: variierbares Zweikreis-ABS, drei Fahrmodi, variierbare Antischlupfregelung, Tempomat
Maße und Gewichte: Radstand 1,53 m, Sitzhöhe 83 (auch 81 oder 85) cm, Gewicht fahrfertig 229 kg, Zuladung 219 kg; Tankinhalt 23 Liter.
Fahrleistungen: Höchstgeschwindigkeit 195 km/h, Normverbrauch lt. Euro4 4,9 l/100 km.
Farben: Blau, Grau, Rot sowie Gelb/Weiß/Rot und Rot/Weiß.
Preis: ab 11.990 Euro

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