Tesla Model 3: Der Katastrophenstart des Hoffnungsträgers

Die Konkurrenz, so schien es, konnte sich warm anziehen: Über 450 000 Vorbestellungen hat Tesla für das Model 3 eingesammelt, ein Mittelklasse-Elektroauto für angeblich 35 000 Dollar (knapp 30 000 Euro). Jeder Vorbesteller hat 1000 Dollar angezahlt. In der Nacht auf den 31. März 2017 standen Kaufwillige stundenlang Schlange, um einen der vorderen Plätze auf der Liste der Reservierungen zu ergattern. Sie hoffen auf ,,das Auto der Zukunft", voller kreativer Lösungen, auf die bei den etablierten Herstellern noch niemand gekommen ist.

Doch der Marktstart des Model 3 gerät für Tesla zum Fiasko. Zwar sind noch längst nicht alle Vorbestellungen abgewickelt, doch die Stornierungen häufen sich - und bei Verträgen, Auslieferungen und Rückerstattungen regiert das blanke Chaos. Dies jedenfalls ist einer großen Zahl von Kundenrückmeldungen zu entnehmen, die sich in den Eignerforen und auf dem Kurznachrichtendienst Twitter unübersehbar häufen. Der Tonfall dort schwankt zwischen Ärger, Konsternierung und Entsetzen.

Eigentlich sollte das Model 3 schon 2017 auf den Markt kommen. In Wirklichkeit wurden am 28. Juli 2017 auf einer Veranstaltung mit Massenevent-Charakter ganze 20 Fahrzeuge an handverlesene Kunden verteilt. Die Produktion kam in den Folgemonaten nur schleppend auf Touren, vom avisierten Ziel von 5000 Autos pro Woche blieb Tesla lange Zeit weit entfernt. Zum 1. Juli 2018 will man die angekündigte Zahl überschritten haben. Doch die Meldung ist mit Vorsicht zu genießen: Skeptiker vermuten, dass vorproduzierte Autos gehortet wurden, um öffentlichkeitswirksam die 5000 Einheiten zu erreichen.

Das ursprüngliche Produktionskonzept ist krachend gescheitert: Tesla wollte die Fabrik extrem hochautomatisieren, dort sollte ,,die Maschine die Maschine bauen". Inzwischen schlägt Firmenchef Elon Musk bescheidenere Töne an. Kürzlich erklärte er der Nachrichtenagentur Bloomberg: ,,Wir waren Idioten und hatten keine Ahnung." Hastig wurden jede Menge neuer Mitarbeiter eingestellt. Weil Tesla mit der Produktion so stark ins Hintertreffen geraten ist, hat man kurzerhand eine weitere Werkshalle in Betrieb genommen - in Form eines Großzeltes.

Bei dem hektischen Hin und Her blieb die Qualität offenbar auf der Strecke. Selbst ein Ausstellungsfahrzeug im Showroom in Manhattan, das wir vor einigen Monaten in Augenschein nehmen konnten, wies außen wie innen schlechte Passungen auf - von konzeptionellen Schwächen wie dem unbequemen Fond ganz zu schweigen. Noch weitaus dürftiger als bei dem Aussteller ist die Qualität vieler ausgelieferter Kundenfahrzeuge.

Von Kratzern im Lack, schlecht eingepassten Glasdächern und groben Abweichungen im Fugenbild bis hin zu verschmutzten Interieurs und sogar Trampelspuren im Kofferraum reichen die schier unglaublichen Erlebnisberichte, die auf Twitter und in den einschlägigen Foren leicht zu finden sind. Und es kommt offenbar vielfach zu Fehlfunktionen und sogar Totalausfällen von Nutzeroberfläche und Antrieb.

Dabei ist es gar nicht so einfach, ein bereits produziertes Fahrzeug zu bekommen: Mit der Logistik ist Tesla heillos überfordert. Viele Kunden berichten über kurzfristigste Verschiebungen, fehlende Fahrzeugpapiere, eine miserable Qualitätskontrolle an den Auslieferungszentren und nicht selten sogar über falsch lackierte Fahrzeuge. Unterdessen verstauben vorproduzierte Fahrzeuge in der kalifornischen Gluthitze auf gewaltigen Freiflächen, wo sie vielfach auf Nacharbeiten warten.

Die Fallhöhe ist besonders hoch, weil Firmenchef Elon Musk in Sachen Qualität mit Versprechungen und Eigenlob nicht gegeizt hat. Nach den Verzögerungen beim Model 3 gefragt, hatte er im November 2017 dem Magazin ,,Rolling Stone" in die Feder diktiert: ,,Es ist besser, etwas gut und spät zu liefern, als schlecht und früh." Und im April 2018 durften die Tesla-Mitarbeiter in einer E-Mail lesen: ,,Die meisten Fertigungstoleranzen des Model 3 sind schon besser als an jedem anderen Auto der Welt. Sie werden bald ausnahmslos besser sein." Man werde weiterarbeiten, so Musk, bis die Fertigungspräzision ,,um den Faktor zehn" besser sei als bei jedem anderen Auto der Welt.

Inzwischen ist die Nachfrage so stark eingebrochen, dass potentielle Kunden seit einigen Wochen proaktiv angeschrieben werden und auch ohne Vorreservierung bestellen können. Die wenigen gebrauchten Model-3-Fahrzeuge sind bereits ohne Aufschlag zu erhalten.

Noch immer sitzen viele Kunden auf ihren Reservierungen, denn sie wollen keine der aktuell angebotenen Versionen kaufen, die nicht unter 49 000 Dollar zu haben sind, sondern die einst öffentlichkeitswirksam angekündigte 35 000-Dollar-Variante. Sie ist nach wie vor nicht konfigurierbar. Und die staatliche Förderung für Tesla-Elektroautos in den USA, die für die Käufer der Einstiegsversion mutmaßlich bedeutend ist, läuft demnächst aus.

Mittlerweile haben rund 25 Prozent der Model-3-Kunden ihre Reservierung rückgängig gemacht. Doch die Rückerstattung der Anzahlung läuft bei vielen Kunden schleppend.

Tesla verlegt sich derweil auf Gimmicks: Am Wochenende hat Firmenchef Elon Musk einem Kunden in Kalifornien persönlich ein Model 3 ausgeliefert. ,,Wir haben ein neues Liefersystem ausprobiert: Wir nutzen einen geschlossenen Container, um das Auto direkt von der Fabrik zum Eigner zu transportieren, das ist super-bequem und der Kunde bekommt ein Auto in Topzustand ohne Plastikhülle", trompetete Musk auf Twitter.

Darauf ist bei der Konkurrenz tatsächlich noch niemand gekommen. (ampnet/jm)

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