Street Scooter - ein Professor der TH Aachen setzt die Post unter Strom

Hennes VIII, seines Zeichens Ziegenbock und gegenwärtig in seiner Funktion als Maskottchen des Bundesligavereins 1. FC Köln nur verhalten glückbringend, ist mobilitätsmäßig auf der Höhe der Zeit. Für Fahrten zwischen seinem Domizil im Kölner Zoo und dem Rheinenergiestadion im Kölner Stadtteil Müngersdorf zu den Heimspielen des 1. FC Köln, steht ihm exklusiv ein von der Deutschen Post gesponsertes Elektroauto mit artgerecht ausgestattetem Innenraum zur Verfügung: ein Street Scooter.

Dass Hennes VIII keine Diesel-Fahrverbote in der Kölner Innenstadt zu befürchten hat, verdankt er in erster Linie zwei Professoren der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen (RWTH). 2010 hatten Professor Achim Kampker, seit 2014 Leiter des Lehrstuhls Production Engineering of E-Mobility Components (PEM) und Günther Schuh, seit 2002 Inhaber des Lehrstuhls für Produktionssystematik an der RWTH, zusammen mit einigen Studenten zunächst als privatwirtschaftlich organisierte Forschungsinitiative das Startup-Unternehmen Street Scooter gegründet. Inzwischen nutzt die Post-Tochter DHL rund 5000 Exemplare für die Paketauslieferung. Diesem und den anderen Modellen aus dem einstigen Aachener Startup- und jetzigem Post-Tochterunternehmen steht eine viel versprechende Zukunft bevor.

Von Anfang an hatten sich die Gründer zum Ziel gesetzt einen Lieferwagen mit Elektroantrieb zu bauen. Das Konzept dafür stellten sie 2011 auf der IAA in Frankfurt vor. Es weckte danach das Interesse der Post so sehr, dass diese Street Scooter Ende 2014 für einen nicht genannten Preis komplett übernahm. Kampker leitet nach wie vor das Unternehmen und fungiert gleichzeitig als Geschäftsbereichsleiter Elektromobilität bei der Deutschen Post DHL. Die Post selbst richtete kürzlich dafür ein eigenes Vorstandsressort ein. Damit erhält das ohnehin schon vielversprechende Unternehmen Street Scooter weitere Beschleunigung auf der Erfolgsspur. Die Post hat sich nämlich zum Ziel gesetzt, dessen Produktionspalette - auch mit Hilfe von Ford - weiterzuentwickeln und weltweit zu verkaufen.

Zurzeit hat Street Scooter das Pedelec Work Bike, mit dem Briefträger bis zu 50 Kilo Nutzlast abgasfrei durch die Stadt transportieren können, das Dreirad Work Trike für Lasten bis zu 90 Kilogramm, den kleinen, voll elektrischen Transporter Work mit einer Reichweite von 113 Kilometern nach NEFZ und einer Gesamtzuladung von 720 Kilogramm sowie den größeren Work L (205 km Reichweite, Gesamtzuladung 905 Kg) im Programm. Als größere Ausgabe gesellt sich demnächst der Elektrolaster Work XL auf Basis des Ford Transit hinzu (Ladevolumen 20 Kubikmeter, Reichweite 80 km). Neuerdings übernehmen Ford Transit Center in Deutschland den Verkauf und Service für die aktuell am Markt verfügbaren E-Transporter, denn die elektrischen Nutzfahrzeuge sollen nicht mehr nur der Post, sondern auch anderen Interessenten zugutekommen.

Auf diese Weise soll sich Street Scooter immer weiter entwickeln, indem die Fahrzeuge auf die Bedürfnisse der Kunden zugeschnitten werden. Geschäftsführer Kampker erklärt: ,,Wir stellen uns stets die Frage: Worauf kommt es dem Kunden besonders an?" Für Bäcker wurde zum Beispiel ein Modell gebaut, aus dem sie bequem die Ware heraus rollen können. ,,Wir müssen alle anfangen, mitzugestalten, anstatt darauf zu warten, dass jemand anderes das macht." Dann seien viele Dinge machbar.
Bis es allerdings so weit war, standen Kampker und seinen Mitstreitern einige Hürden im Weg. ,,Deutsche Ingenieure haben die Tendenz, sich immer das Schwierigste zuerst vorzunehmen", sagt Achim Kampker in einem Interview mit der ,,Frankfurter Allgemeinen Zeitung" (FAZ). ,,Die Hersteller wollen ein Weltauto bauen, das sich überall verkaufen lässt." Das aber mache das Vorhaben unnötig kompliziert. Ein Elektroauto, das auch nach acht Wochen Stillstand mitten im eiskalten Sibirien noch problemlos fährt, stand nicht im Fokus: ,,Unser Street Scooter fährt erst mal nicht in Sibirien."

An die Startschwierigkeiten von Street Scooter erinnert sich Kampker so: ,,Anfangs hat man uns ausgelacht und für verrückt erklärt." Mut habe vor allem dazu beigetragen, dass Street Scooter zu einem Erfolg wurde. Oft würden Ideen nicht umgesetzt, weil die Angst vor dem Scheitern zu groß sei: ,,Aber wenn es nicht die Wissenschaft ausprobiert, wer dann? Auch wenn etwas nicht gelingt, bringt es die Forschung weiter. Ohne Menschen, die etwas ausprobiert und es nicht geschafft haben, gäbe es Vieles nicht."
Längst platzt die erste Street Scooter-Fabrik in Aachen aus allen Nähten. Deshalb beginnt jetzt eine zweite Produktion in Düren. Voll ausgebaut soll die Kapazität beider Fertigungsstätten bei 20 000 Street Scootern im Jahr liegen.

Damit wird die Region Aachen/Düren endgültig zum ernst zu nehmenden Automobilstandort. Das freut auch den CDU-Bundestagsabgeordneten Thomas Rachel aus dem Wahlkreis Düren. Der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung meint: ,,Zündende Ideen müssen nicht immer aus dem Silicon Valley stammen." Zudem sind Arbeitsplätze in einer Gegend, wo die Zukunft des Braunkohletagebaus wenig Anlass zu Optimismus gibt, mehr als willkommen.

Und auch Ziegenbock Hennes VIII hat nichts mehr zu meckern. Musste er anfangs noch mit sanfter Gewalt dazu bewegt werden, in seinen Street Scooter zu steigen, freut er sich jetzt offensichtlich auf jede Fahrt. Sonst hat er ja auch angesichts der Situation des 1. FC Köln nichts zu lachen. (ampnet/hrr)

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