Autoland Brasilien (5): In die Zukunft mit Agenda 2030

Der Blick auf 2017 begeistert Antonio Megale, den Präsidenten des brasilianischen Automobilhersteller-Verbands ANFAVEA (Associação Nacional dos Fabricantes de Veículos Automotores) stets aufs Neue. ,,Nachdem vier Jahre lang der Absatz unserer Industrie fortlaufend gesunken war, wächst er endlich wieder. Mit 2,24 Millionen verkauften Fahrzeugen lag er im vergangenen Jahr um 9,2 Prozent höher als 2016. Im Vergleich zu unserem Rekordjahr 2011, als wir 3,8 Millionen Einheiten absetzen konnten, ist das Niveau immer noch niedrig, aber allemal ein Grund zum Feiern."

So richtigen Grund, die Champagnerkorken knallen zu lassen, gab die Ausfuhr. ,,Mit 762 000 exportierten Fahrzeugen lagen wir nicht nur um 46,5 Prozent über dem Vorjahr. Verglichen mit unserem besten Jahr 2005, als 724 200 Autos in den Export gingen, haben wir sogar einen neuen Rekord aufgestellt", freute sich Megale, der hauptberuflich in der Geschäftsführung von Volkswagen do Brasil für Regierungsangelegenheiten verantwortlich ist. Auch für seinen Arbeitgeber standen 2017 die Ampeln auf Grün. Die Auslieferungen der Marke Volkswagen in Brasilien stiegen um 19,1 Prozent und erzielten ein Gesamtergebnis von 272 119 ausgelieferten Fahrzeugen.

Bleibt zu fragen: War das nur ein kurzes Aufflackern oder der Beginn einer anhaltenden Erholung? Immerhin gilt Brasilien als einer der größten und wichtigsten Automobilmärkte weltweit, was sich nicht zuletzt an der Mitgliederliste von ANFAVEA ablesen lässt. Dort sind alle namhaften Autokonzerne aus Europa, den USA und dem Fernen Osten vertreten, weil sie hier auch Fabriken unterhalten. Für sie gibt es Hilfen von oberster Stelle aus der Hauptstadt Brasilia.

Unter dem Slogan ,,2030" rief die brasilianische Regierung eine neue Strategie für den Automobilsektor aus. Das Programm zielte darauf ab, die Automobilindustrie des Landes mittelfristig so voranzubringen, dass deren Produkte die Standards der großen Wettbewerber erreichen. Diese Politik ist in drei Zyklen unterteilt. Der erste davon endete im vergangenen Jahr. Das sogenannte Inovar-Auto-Programm (Incentive-Programm zur technologischen Innovation und Intensivierung der Kraftfahrzeug-Produktivitätskette) wollte mit steuerlichen Anreizen erreichen, die Fahrzeuge sparsamer und sicherer zu machen und brachte so Forschung und Entwicklung auf Trab. Mit spürbarem Erfolg: Zwischen 2013 und 2017 wurden in Brasilien 58 Patentanmeldungen für den Automobilsektor eingereicht, in den fünf Jahren zuvor waren es nur neun gewesen.

Gegen Ende der ersten Phase zeichnete sich ab, dass die heimische Industrie auch auf dem ausländischen Markt wettbewerbsfähiger wurde. ,,Wir spürten, dass die Maßnahmen wirkten und der brasilianischen Automobilindustrie zeigten, welche Rolle sie auch international einnehmen kann", erklärt Marcos Jorge de Lima, Minister für Industrie, Außenhandel und Dienstleistungen. Sollte der Freihandelsvertrag zwischen der Europäischen Union und den Mercosur-Staaten (Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay) zustande kommen, wird sich das Programm auch auf den Export der Automobilindustrie zwischen Amazonas und Rio Grande del Sul bemerkbar machen. Freihandels-Abkommen mit anderen Staaten Südamerikas wie zum Beispiel Kolumbien oder Argentinien erleichtern den Export ebenfalls. So wird es bereits 2018 aufgrund des mit Kolumbien unterzeichneten Automobilabkommens möglich sein, 25 000 Einheiten zollfrei zu exportieren.

Der nächste Schritt wird aus einer Steuersenkung für Hybrid- und Elektrofahrzeuge bestehen. Gleichzeitig soll die Zukunft von Mobilität und Logistik in Brasilien angesichts des fortschreitenden technologischen Wandels mit einer verbesserten Ausbildung von Fachkräften auf stabile Beine gestellt werden. Die Automobilindustrie steht schließlich für etwa 1,6 Millionen Arbeitsplätze und ist für 22 Prozent des industriellen Bruttoinlandsprodukt Brasiliens verantwortlich. Sie ist einer der wichtigsten Arbeitgeber des Landes und hat es in der Hand, die nationale Wirtschaft anzukurbeln, was sich bereits im Export-Rekordjahr 2017 bemerkbar machte. ,,Mit der Agenda 2030 sind wir auf dem richtigen Weg, Anschluss an den internationalen Markt zu finden", sagt Minister Marcos Jorge de Lima.

Die in Brasilien vertretenen Unternehmen aus Deutschland scheinen diesen Optimismus zu teilen. Daimlers brasilianische Tochtergesellschaft Mercedes-Benz do Brasil will in den kommenden fünf Jahren rund 600 Millionen Euro investieren. Damit unterstreicht der größte Nutzfahrzeughersteller in Lateinamerika sein Engagement im brasilianischen Markt. Seit 2010 hat Daimler etwa eine Milliarde Euro in seine brasilianischen Standorte investiert.

Die Investitionen gehen in die Modernisierung der Produktpalette, in die digitalen Dienste sowie die beiden Produktionswerke in São Bernardo do Campo und Juiz de Fora. Bis 2022 sollen beide Werke den höchsten Produktionsstandards entsprechen und so noch wettbewerbsfähiger sein. Stefan Buchner, Leiter Mercedes-Benz Trucks, berichtet: ,,Unser starker Absatz zeigt, dass wir in Brasilien auf dem richtigen Weg sind. Wir sind vom großen Potenzial dieses riesigen Landes überzeugt."

Auch BMW glaubt an Brasilien. Zurzeit errichten die Bayern zusammen mit einem brasilianischen Energieversorgungsunternehmen Ladestationen für Elektroautos an der Autobahn zwischen Sao Paulo und Rio de Janeiro. Anschließend sind 70 weitere Stationen an wichtigen Standorten des Landes geplant. ,,BMW engagiert sich für die Elektrifizierung als nachhaltige Mobilität und vereint dieses Konzept mit der Freude am Fahren", sagt Helder Boavida, Präsident der BMW Group do Brasil.

Für Volkswagen gehört die Region Südamerika mit 29 Ländern aus Süd-, Zentralamerika und der Karibik zu den besonders wichtigen Märkten. Im vergangenen Jahr waren die Auslieferungen der Marke dort im Vergleich zum Vorjahr (335 400 Fahrzeuge) um 25 Prozent auf 419 200 Fahrzeuge gestiegen. Somit war diese Region die mit der höchsten Wachstumsrate der Marke Volkswagen auf der Welt im Jahr 2017. Im gleichen Jahr waren die Auslieferungen von Volkswagen in Brasilien im Vergleich zum Jahr 2016 um 19,1 Prozent gestiegen und schafften ein Gesamtergebnis von 272 119 ausgelieferten Autos. Damit stellte VW das Wachstum des Gesamtmarktes der Automobilindustrie in Brasilien in den Schatten, PKW und leichte Nutzfahrzeuge inklusive, der 2017 laut Renavam (System zur Zulassung von Fahrzeugen in Brasilien) um 9,4 Prozent gewachsen war.

Volkswagen do Brasil ist der größte Fahrzeug-Exporteur in der Geschichte Brasiliens, insgesamt wurden seit 1970 mehr als 3,6 Millionen Einheiten in 147 Länder versandt. 2017 waren es insgesamt 163 306 Wagen für 15 Länder. Der VW Gol, ein von Volkswagen in Brasilien für den lateinamerikanischen Markt gebauter Kleinwagen, war mit 78 848 ausgelieferten Fahrzeugen das meistexportierte Modell der Marke. Argentinien war 2017 mit 93 891 Einheiten der Markt, an den die meisten von Volkswagen do Brasil exportierten Modelle geliefert wurden.

Der Aufwärtstrend hält an. VW do Brasil konnte im Januar und Februar 2018 37 Prozent mehr Autos verkaufen als im gleichen Zeitraum des Vorjahres und damit deutlich mehr als die Konkurrenz. Anlass, den nächsten Schritt einzuleiten wie Pablo di Si erklärt, der neue Chef des brasilianischen VW-Tochterunternehmens. Sieben Milliarden Real, umgerechnet rund 1,7 Milliarden Euro, investiert Volkswagen in eine Produktoffensive bis 2020. ,,Wir sind sehr optimistisch, was die brasilianische Wirtschaft betrifft. Die Inflation ist unten, Zinssätze sind unten, die Kunden können günstiger Kredite bekommen als früher, und sie werden unsere Autos kaufen." Mit dieser Meinung steht der Argentinier nicht allein. (ampnet/hrr)

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