Test: Stromer ST1 X Sport - Fahren in der Grauzone

45 km/h - in der pedalierten Zweiradwelt ist das S-Pedelec die Königsklasse. Entsprechend viel Freude bereitet die Fahrt mit einem Stromer ST1 X. Ein paar Haken hat das Highspeed-Vergnügen allerdings.

Pedelecs, die bis maximal 25 km/h angeschoben werden, sind derzeit besonders gefragt. Die schnelleren S-Pedelecs finden sich hingegen nur selten auf unseren Straßen. Das liegt unter anderem an der etwas unausgegorenen rechtlichen Situation und wohl auch an den zumeist happigen Preisen. Doch wie eine Testfahrt mit dem Stromer ST1 X Sport zeigt, machen die bis zu 45 km/h schnellen Power-Bikes ungleich mehr Spaß.
 
Doch vor dem Spaß kommen die Probleme: Wer ein S-Pedelec fahren will, muss zum Beispiel einen dafür angemessenen Helm tragen. Da geht nicht irgendeinen Fahrradhelm, sondern eigentlich nur einer, der einen den höheren Geschwindigkeiten angemessenen Schutz bietet. Das sind zum Beispiel Motorrad- oder spezielle S-Pedelec-Helme, von denen allerdings derzeit nur wenige Modelle auf dem Markt sind. Das zweite Problem: Man darf mit einem S-Pedelec keine Fahrradwege nutzen, denn es handelt sich um ein Kleinkraftrad, welches weitgehend auf die für Autos vorgesehenen Wege ausweichen muss. Das ist schade, denn könnte man mit 45 km/h die Fahrradschleichwege befahren, hätte das S-Pedelec viel Potenzial, als schnelle Alternative zum Auto durchzustarten. Vielen S-Pedelec-Fahrern scheint die Gesetzeslage übrigens wenig zu stören, denn nicht selten begegnet man ihnen auf eigentlich verbotenen Pfaden.
Das Stromer ST1 X ist längsdynamisch ein echter Spaßmacher. Dafür sorgt unter anderem das ordentliche Drehmoment von 35 Newtonmeter, die der 500 Watt leistende Nabenmotor ohne den Umweg über eine Kette in den Vortrieb wirft. Bei entsprechendem Pedalkommando sorgt die E-Maschine jedenfalls für kräftige Beschleunigung, was bisweilen zu kuriosen Situationen führen kann. Steht man etwa als erster an einer roten Ampel, wollen beim Wechsel auf Grün nachfolgende Autos möglichst schnell überholen. Wer geschickt die Übersetzungen der absolut ausreichenden Neungang-Kettenschaltung nutzt und so maximalen Schub fordert, kann auf den ersten hundert Metern durchaus mit den Autos mithalten. Die Autofahrer treibt derweil oftmals ein unbedingter Überholwillen, weshalb sie das überraschend spritzige Fahrrad oft mit riskanten Manövern kontern. Manchmal ist das amüsant, in vielen Situationen allerdings auch gefährlich.
 
Normale Rad- und Pedelec-Fahrer können mit dem leisen und durchzugsstarken ST1 jedenfalls nicht mithalten. Es genügt meist mäßige Beinkraft, um die Tachoanzeige jenseits der 40 km/h zu halten. Wer gar kräftig in die Pedale tritt, kann zumindest kurzweilig auch über 50 km/h erreichen. Wird permanent maximale Leistung abgerufen, ist der Strombedarf entsprechend. In unserem Fall kam der größere der beiden Akkuvarianten zum Einsatz, der mit 814 kWh bemerkenswert üppig dimensioniert ist, letztlich aber nur gut 60 Kilometer Reichweite im 45-km/h-Betrieb erlaubt. Wer mehr Reichweite will, muss sich zu einer niedrigeren Geschwindigkeit zwingen. Hierzu kann man per Knopfdruck am Lenker oder über den Mini-Touchscreen im Rahmenoberrohr zwischen drei Unterstützungsstufen wählen. In den Stufen 1 und 2 wird bis maximal 25 beziehungsweise 35 km/h unterstützt. Während sich die Reichweite in Stufe 2 verdoppelt, verdreifacht sie sich in Stufe 1. Doch wer einmal im Schnellmodus unterwegs war, hat ein Problem, sich mit einem der schwächeren Unterstützungsmodi anzufreunden. 
 
Das massiv gebaute, gut 28 Kilogramm schwere Stromer hat indes kein Problem, das maximale Tempo sauber auf die Straße zu bringen. Der Rahmen ist supersteif, die hydraulischen Scheibenbremsen packen kräftig zu. So mächtig, dass bei einer Vollbremsung die Räder leicht mal blockieren. Ein ABS wäre da eine feine Sache, doch in absehbarer Zukunft wird es das für ein S-Pedelec von Stromer nicht geben. Darüber hinaus bietet das ST1 angenehm sportlich und zugleich auch für längere Fahrten bequeme Sitzhaltung. Die großen 26-Zoll-Ballonreifen sorgen für guten Fahrbahnkontakt und bei mäßigem Luftdruck auch für ein wenig Komfort. Das hat des ST1 auch dringend nötig, denn bei gröberen Unebenheiten werden teilweise derbe Stöße an den Fahrer weitergeleitet. Manches unerwartetes Schlagloch kann Kopfschmerzen bereiten. Federelemente gibt es für die solide schweizerische Konstruktion jedenfalls weder gegen Geld noch gute Worte.
 
Hochgerüstet ist das Stomer-Pedelec dafür in Sachen Konnektivität. Grundsätzlich wird das Fahrrad nämlich mit einer SIM-Karte ausgestattet, was eine ständige Anbindung ans Internet erlaubt. Die Kosten hierfür übernimmt übrigens Stromer. Der registrierte Nutzer kann so über eine spezielle App unter anderem das Rad von seinem Smartphone aus sperren oder entsperren. Diese Funktion erlaubt es, das Fahrrad auch aus weiter Ferne anderen Nutzern zugänglich zu machen. Außerdem kann man sich über die App den Ladezustand vom Akku oder auch den aktuellen Standort anzeigen lassen. Letztere Funktion kann bei einem Diebstahl hilfreich sein. Die Anbindung ans Funknetz ist allerdings nur gewährleistet, solange der Antriebsakku genug Strom dafür liefert. Dieser ist im Rahmenunterrohr in einem Fach eingeschlossen und kann nicht ohne weiteres von einem Dieb abgeklemmt werden. Auch wenn die Konnektivitäts-Technik damit einen gewissen Schutz vor Fahrraddieben bietet, sollte man beim ST1 dennoch nicht aufs klassische Fahrradschloss verzichten.
 
Wird das S-Pedelec geklaut, wird das nämlich teuer. Unter Testrad kostet rund 5.000 Euro in der Basisversion. Fast 500 Euro kommt noch für die XL-Batterie obendrauf. Gute Pedelecs bekommt man schon für die Hälfte. Allerdings: Diese machen auch nur halb so viel Spaß.

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