200 Jahre Fahrrad: Teil 3 - Der schnelle Siegeszug

Der Weg von der Draisine zum Hochrad war lang und zäh. Doch zum Ende des 19. Jahrhunderts überschlugen sich die Ereignisse regelrecht. Die Räder wurden sicherer, alltagstauglicher und zudem bezahlbar. In der Folge mobilisierte das Rad die Massen.

Der Entwicklungsschritt von der 1817 erfundenen Draisine zum pedalgetriebenen Veloziped gut 50 Jahre später war so langwierig wie wichtig. Technisch war das Prinzip Fahrrad damit allerdings noch nicht ausgereizt. Zunächst wurde vor allem mit größeren Vorderrädern experimentiert, was zur heute kurios anmutenden Episode der schnellen aber leider auch gefährlichen Hochräder führte. Erst die Entwicklung von Sicherheitsniederrädern zum Ende des 19. Jahrhundert brachte Fahrradformate hervor, die dem heute vorherrschenden Grundschema sehr ähneln. Nur etwa eine Dekade hat es gedauert, bis sich das moderne Fahrradprinzip durchsetzte und in der Folge die Massen mobilisierte.
 
Die Erfindung des Hochrads erwies sich dagegen als Sackgasse. Die Räder waren teuer, schwer zu fahren und vor allem gefährlich. Fuhr der nahezu über dem Vorderrad positionierte Hochrad-Pilot gegen ein Hindernis, stürzte er aus erheblicher Höhe nach vorne, was oft für schwere Verletzungen sorgte. Ende der 1870er-Jahre experimentierten verschiedene Radhersteller deshalb mit Konstruktionen, bei denen die Stürze weniger dramatisch verliefen. In den meisten Fällen wurde dabei das Vorderrad deutlich verkleinert, eine geneigte Vordergabel verbaut und der Sattel zwischen den Rädern mehr in Richtung Hinterrad positioniert. Einige frühe Ansätze verfolgten sogar eine Art Umkehrung des Hochradprinzips, bei denen dann das Hinterrad groß und das Vorderrad klein war. Die neuen Sicherheitsniederräder setzten zudem auf Kettenantriebe. Die Erfindung dieses Antriebprinzips wird auf das Jahr 1878 datiert und dem französischem Uhrmacher André Guilmet zugeschrieben. Dabei waren die Tretkurbeln mit einem großen Zahnkranz direkt verbunden, von dem aus eine Kette die Beinkraft an ein kleineres Zahnrad am Hinterrad leitete. Diese Lösung sorgte unter anderem für eine Entkopplung von Antrieb und Lenkung.
 
Dem modernen Fahrrad schon sehr ähnlich war das um 1885 von John Kemp Stanley in England gebaute ,,Rover Safety Bicycle". Auf diesem Sicherheitsniederrad konnte der Fahrer mit den Füßen den Boden berühren, die Pedale befanden sich zwischen den nahezu gleichgroßen Rädern und trieben über eine Kette das Hinterrad an. Allerdings setzte Stanley zunächst noch auf einen Kreuzrahmen, dem nur wenige Jahre später der Rautenrahmen und danach der heute übliche Diamantrahmen folgten. Die englischen Fahrräder erfreuten sich international großer Beliebtheit, in einigen Ländern war der Name Rover gar ein Synonym für Fahrrad. In den Köpfen vieler galt allerdings noch das Hochrad als Inbegriff für das schnelle Rad. Die Ära der abenteuerlichen Riesen endete erst Anfang der 1890er-Jahre, unter anderem weil sich das Sicherheitsniederrad auch in Rennen bewehren konnte. Einen entscheidenden Vorteil brachte zudem die Erfindung des Luftreifens durch den schottischen Tierarzt John Boyd Dunlop im Jahr 1888. Denn auch der Nachteil der schlechteren Abrollqualität im Vergleich zu Hochrädern konnten die Sicherheitsniederräder damit wettmachen.
 
In Europa und den USA wurden parallel die Methoden der Massenfertigung von Fahrrädern optimiert, wodurch das Fahrrad für zunehmend größere Bevölkerungsteile bezahlbar wurde. Ende des 19. Jahrhunderts wurden Fahrräder immer häufiger im urbanen Straßenverkehr eingesetzt. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts nahm das Fahrrad richtig Fahrt auf und mobilisierte die Massen. In dieser Boom-Phase gab es noch zwei weitere Erfindungen, die das Fahrrad technisch voranbrachten. Wohl Ende der 1890er-Jahre wurde der Freilauf erfunden, der sich schnell durchsetzen konnte. 1907 folgte zudem das erste Getriebe: eine Zweigang-Nabenschaltung von Fichtel & Sachs. In der Folgezeit kam es zu einer Vielzahl weiterer Detailentwicklungen, die das Fahrrad in puncto Sicherheit und Alltagstauglichkeit verbesserten. Doch der große Boom ebbte in den USA bereits vor dem zweiten Weltkrieg mit dem Siegeszug des Automobils ab. In Europa geriet das Fahrrad in der Nachkriegsära ins Hintertreffen.
 
Erst in den 1980er-Jahren wurde das Fahrrad vor allem als ökologische Alternative zum Auto wiederentdeckt. Ab den 1990er-Jahren war das Fahrrad zudem als Sport- und Freizeitgerät wieder sehr gefragt. Und seit einigen Jahren beschert vor allem das Pedelec (E-Fahrrad) der Fahrradindustrie enorme Wachstumsschübe.

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