Motorradentwicklung - Viele Wege in die Zukunft

Auf der gerade beendeten EICMA zeigten Hersteller und Zulieferer auch Ideen für das Motorrad von Morgen. Nicht alle taugen zur Realisierung. In einem Punkt nähern sich Motorräder den Autos an.

Wenn Techniker und Designer in die Zukunft denken, kommen dabei mitunter Fahrzeuge heraus, die den Betrachter zum Stirnrunzeln herausfordern. Braucht es zum Spaß am Motorradfahren wirklich ein drittes Rad? Braucht man einen Kompressor zur Generierung von utopischen Motorleistungen, die der Fahrer ohne Assistenzsysteme nie und nimmer halbwegs sicher auf die Straße bringen kann? Auf der gerade zu Ende gegangenen Motorrad-Ausstellung EICMA waren allerlei Studien und Konzeptfahrzeuge zu sehen. Manche von ihnen werden nie zu einem Serienfahrzeug führen, andere aber dürften - wenn auch in einigen Details abgewandelt - in den nächsten Jahren den Weg in die Showrooms der Händler finden.

,,Eine Antwort auf eine Frage, die niemand gestellt hat" - diese Reaktion konnte man auf die Präsentation des Honda ADV hören; man kann ihn als Roller mit Offroad-Bereifung bezeichnen. Gedacht ist von Seiten der Entwickler an ein Spaßfahrzeug der Zukunft, das als ,,City Adventure" bezeichnet wird. Roller- und Offroad-Elemente wie beispielsweise die Speichenräder und verlängerte Federwege verschmelzen zu einem neuartigen Crossover-Modell. Dass man bei Honda in vielerlei Richtungen denkt, zeigen auch die beiden Studien Neowing und EV-Cub Concept, die vor kurzem bei der Tokio Motor Show präsentiert worden sind; auf der EICMA waren sie nicht ausgestellt.

Nicht in die Abenteuer der Stadt, sondern wirklich ins Gelände weist ein ganz anderer Prototyp: ,,Big Q" nennt die Schweizer Firma Quadro ihre Studie eines auch abseits des Asphalts einsetzbaren Vierrad-Neigefahrzeuges; Basis dafür ist der Vierrad-,,Roller" Quadro4, der seit dem Frühjahr 2015 produziert wird. Der Big Q weist zwei angetriebene Räder auf und wird von einem 630 Kubikzentimeter großen Einzylindermotor angetrieben; das Neigesystem HTS soll semiaktiv unterstützt werden, dazu gibt es ein selbstsperrendes Differenzial sowie einen Rückwärtsgang. Auf der EICMA ausgestellt hat Quadro auch einen Einrad-Anhänger für den Quadro4; auf ihm sind zwei herkömmliche Seitenkoffer sowie zusätzlich ein Topcase montiert. Die Einrad-Konstruktion ist erforderlich, weil das Zugfahrzeug bis zu 45 Grad Schräglage einnehmen kann.

Nicht überraschen würde es, wenn Yamaha das zuerst in Tokio und jetzt auch in Mailand gezeigte Dreirad LMW-MWT-9 in ähnlicher Form in Serie bauen würde. Das Volumen des flüssigkeitsgekühlten Dreizylindermotors gibt Yamaha mit 849 Kubikzentimetern an. Aufgrund der außenliegenden Vorderradführungen mit doppelten Dämpfer-Einheiten sei eine Schräglagenfreiheit von über 45 Grad gegeben, sagt Yamaha.

Noch ungefähr drei Jahre soll es dauern, bis die zu KTM gehörende Marke Husqvarna das erste reinrassige Straßenmotorrad ausliefern wird: Es hört auf die Modellbezeichnung Vitpilen 701 und war auf der EICMA noch im Konzept-Status zu sehen. Angetrieben wird die sehr leicht und futuristisch ausschauende Husky vom Einzylinder-Triebwerk der KTM 690 Duke R; es leistet erstaunliche 75 PS - bis 2018 vielleicht sogar noch ein paar mehr.

Schneller gehen mit der Umsetzung in die Serie könnte es mit dem neuen V2-Motor des US-Herstellers Victory, der wie Indian zum Polaris-Konzern gehört. Das wassergekühlte Hochleistungs-Triebwerk stellt eine neue Motorengeneration dar, die auf dem Motor des Race-Bikes ,,Project 156" basiert, das Victory im vergangenen Sommer beim Pikes Peak Bergrennen in Colorado an den Start gebracht hat. Der Hubraum beträgt rund 1200 Kubikzentimeter, der Zylinderwinkel 60 Grad. Im Zylinderkopf arbeiten je zwei Nockenwellen und vier Ventile. Auf der EICMA war der Motor in einem Concept Bike zu sehen, das der Schweizer Urs Erbacher auf die Räder gestellt hat.

Einen Blick in die Zukunft gewährte auf der EICMA auch der Zulieferer Bosch, einer der wichtigsten Entwicklungspartner vieler Zweiradhersteller. Im in Japan angesiedelten Forschungs- und Entwicklungszentrum beschäftigt man sich intensiv mit Vernetzungssystemen.  Die Connectivity Control Unit (CCU) verbindet Motorräder mit der Cloud, was Funktionen wie den automatischen Notruf eCall ermöglicht. Damit ist im Falle eines Unfalles schnellere Hilfe möglich. Über die CCU lassen sich aber auch Informationen über potenzielle Gefahrenstellen auf den Straßen empfangen.

Darstellen lässt sich dies mit Hilfe des Integrated Connectivity Cluster (ICC). Darunter ist ein Fahrerinformationssystem mit variabler Display-Größe und Auflösung zu verstehen, das auch im grellen Sonnenlicht hervorragend ablesbar ist, weil es keinen Spiegel-Effekt kennt. Neben einer Bluetooth-Schnittstelle verfügt das ICC auch über eine Smartphone-Integrationslösung. Ziel ist es, die Funktionen von Smartphone, Navigationssystem und Fahrzeug auf einem einzigen Display zu bündeln. Auf der EICMA hieß es, ICC sei in den nächsten drei Jahren in den ersten Serien-Motorrädern zu erwarten. Schon im kommenden Jahr bringt der Stuttgarter Automotive-Multi eine neue ABS-Generation auf den Markt; ABS 10 ist 45 Prozent kleiner und 30 Prozent leichter als die aktuelle Generation 9. Diese wird insbesondere für hochwertige Motorräder wegen der bei diesem Modell möglichen Zusatzfunktionen weiter im Programm bleiben; das ABS 10 ist primär für leichte Motorräder entwickelt worden.

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