Interview zur Citylogistik: Städte dürfen nicht an Auslieferungen ersticken

Wie erreichen in Zukunft Waren in Städten den Bestimmungsort. Melden wir uns per Smartphone bei einem Depot an und schon werden alle Waren aus den unterschiedlichsten Quellen mit einem Fahrzeug angeliefert? Fest steht: Für die Logistik in der Stadt werden wir uns rasch effiziente und ökologisch verträglichere System ausdenken müssen. Marcel Huschebeck forscht beim Verkehrsplaner PTV Group seit 15 Jahren zu Logistiksystemen der Zukunft. Wir fragten ihn nach dem Stand der Entwicklung und seiner Vision.

E-mobil, kooperativ, effizient - welche Strategien machen die Citylogistik fit für die Herausforderungen von morgen? Im aktuellen Strategiepapier ,,Smart and sustainable logistics for a competitive Europe" des Transport Research and Innovation Portals (TRIP) werden die Prioritäten der EU-Verkehrspolitik beleuchtet und über Erfolgsgeschichten berichtet. Darunter auch die Projekte ,,e-Freight" und ,,BESTUFS II", bei denen PTV aktiv mitgewirkt hat. Können Sie zusammenfassen, was sich hinter diesen Kunstnamen an Projekten verbirgt?

Huschebeck: Bei ,,e-Freight" stand der Informationsaustausch zwischen allen Beteiligten der Transportkette im Fokus. Dazu wurde eine einheitliche Sprache für den elektronischen Datenaustausch in der Transportwirtschaft entwickelt bzw. weiterentwickelt, die ,,United Business Language", kurz: UBL Standard. Dieser Standard ist für die Kommunikation, aber auch für die schnelle, nahtlose und papierlose Dokumentation geeignet. In diesem Projekt haben wir bei PTV Webservices zur Auftragserfassung für das niederländische Unternehmen Jan de Rijk entwickelt und implementiert. Hier ging es um die Buchung von Luftfrachttransporten durch verschiedene Frachtagenten.

Die Herausforderung am Ende solcher Projekte ist dann die Marktdurchdringung, also dass beispielsweise möglichst viele Unternehmen diesen Standard dann auch nutzen. Hier kommt ,,BESTUFS" ins Spiel, ein inzwischen abgeschlossenes Projekt, das aber weiterlebt in dem Projekt ,,BESTFACT". Dabei werden Best Practices aus Städten unterschiedlicher Größenordnungen gesammelt, entwickelt, evaluiert und verbreitet, um den Erfolg umgesetzter Maßnahmen zu zeigen. Im Falle von ,,BESTUFS" und ,,BESTFACT" geht es besonders um die Citylogistik. Die Ziele sind hier, mehr Effizienz bei der Transportdurchführung, Staus verringern und Schadstoffemissionen reduzieren.

Welche Bedeutung haben solche Projekte für die logistische Praxis? Sprich: Wie erreicht man einen größeren Nutzerkreis, damit die Ergebnisse aus Forschungsprojekten Teil der Praxis werden?

Huschebeck: Ein neuer Standard, wie er im Falle von ,,e-Freight" entwickelt wurde, ist immer mit Investitionen und Anpassungen verbunden. Das ist Teil komplexer Investitionsentscheidungen und da überlegen natürlich alle, was sie wie ändern und ob überhaupt. Die Konzeption ist sehr gut und praktikabel, aber es ist eben ein weiterer Standard, da ist es schwer, den Entscheidungsprozess zu unterstützen. Beim Thema Citylogistik ist das einfacher, die Ansätze sind greifbarer, wir bekommen bei ,,BESTFACT" überdurchschnittlich viel positive Rückmeldung.

Anders als der ÖPNV, der Aufgabe der Stadtverwaltung ist, hat die Citylogistik noch nicht diesen Stellenwert. Wenn man so will, ist sie eher ein Ableger der Gewerbetreibenden. Man kann den Einzelhandel ja nicht von der Versorgung abschneiden - und damit die Bevölkerung. Das heißt, die Citylogistik muss hier mit ganz anderen Zielen in Einklang gebracht werden, um Akzeptanz zu erreichen.

Ist dieser Stellenwert der Citylogistik historisch bedingt?

Huschebeck: Ja, genau. In den 1990-er Jahren gab es einen regelrechten Logistikhype, Liberalisierung war das Thema, viele Städte hatten eine Citylogistik-Initiative. Den Kooperationsgedanken, der heute wieder von ganz wesentlicher Bedeutung ist, gab es also damals auch schon. Aber aus mehreren Gründen war mit diesen Citylogistik-Initiativen damals noch kein Geschäft zu machen.

Die Bundesregierung will bis 2020 rund eine Million Elektrofahrzeuge auf Deutschlands Straßen sehen, der CO2-Ausstoß soll gegenüber 1990 bis 2020 um 40 Prozent sinken. Bis dahin sind es nur noch fünf Jahre, wie soll das gehen? Sind diese Ziele vielleicht so ehrgeizig formuliert, um überhaupt das Bewusstsein für bestimmte Probleme und Möglichkeiten zu sensibilisieren?

Huschebeck: Als es losging mit ,,BESTUFS I" vor gut 15 Jahren war die EU ein wesentlicher Fördergeber. Es war klar, dass man das Thema Städte angehen muss. Innovationen und Best Practices standen ganz oben auf der Agenda. Es war ein gemeinschaftliches Thema, damit die städtische Verkehrspolitik nicht außen vor bleibt. Heute leben 74 Prozent der Menschen in urbanen Regionen. Will man die verkehrspolitischen Ziele etwa zur Schadstoffreduktion erreichen, muss der urbane Raum auch in solche Projekte einbezogen werden.

Was das Thema Elektromobilität betrifft, so sollte es hier auch in Deutschland zusätzliche finanzielle Anreize geben für den Umstieg, beispielsweise für Privatpersonen. Vielleicht wird sich der Autokauf in Zukunft eher als Erwerb eines Rundum-Mobilitäts-Services erweisen, bei dem man auch Zugfahrten, ein Mietfahrzeug und ähnliches im Paket hat, um den Kauf eines Elektrofahrzeugs auch für längere Reisen interessant zu gestalten.

Für die Transportlogistik hat sich gezeigt, dass Elektromobilität nicht für die klassische Depotstruktur in der Logistik geeignet ist. Sinnvoller ist es, fest stationierte E-Flotten in der Stadt fahren zu lassen, also die Güter von großen Lkw auf kleinere Fahrzeuge umzuschlagen. So haben wir das beim EU-Projekt ,,SMARTFUSION" (Smart Urban Freight SolutIONs) gemacht. Hierzu haben wir auf einer Karte die Struktur mit den Depots für Como errichtet, die auch Reichweiten, Kosten und Emissionen zeigt, sodass man genau sieht, was funktioniert.

Ebenfalls sinnvoll: Hybridfahrzeuge als schwere Lkws einzusetzen, die in der Stadt auf E umschalten. Wir haben dazu einen Dienst getestet, der dem Fahrzeug über eine PTV-Navigation auf der Route Anweisungen gibt, wann in welchem Modus gefahren werden soll. Dadurch lassen sich sowohl Lärm und Schadstoffemissionen reduzieren als auch Betriebskosten. Bei einem 28-Tonner Einsparungen sind bis zu 20 Prozent möglich. Allerdings zögert die Branche hier noch wegen der Anschaffungskosten.

Welche Entwicklungen in der Logistik werden einen besonderen Einfluss auf unsere Zukunft haben, zum Beispiel darauf, wie wir als Endkunden Waren erhalten oder darauf, wie Logistiker interagieren?

Huschebeck: Das ist letztlich eine Frage des Handlings und der Umschlagskosten. Für mich ist die Vision des Physical Internets (PI) ganz klar der Favorit, besonders bei der Citylogistik. Das könnte beispielsweise so aussehen, dass ich als Endkunde per Smartphone angebe, dass ich nun zu Hause bin. Dann wird alles, was ich bestellt habe, sowie meine Post gebündelt an mich überstellt. Egal, ob es Bücher vom Online-Händler sind oder Hygieneartikel vom Drogeriemarkt. Oder ich erhalte eine Nachricht, dass all meine Waren, meine Post etc. nun beim City Hub XY für mich bereitstehen.

Das heißt, der Supermarkt der Zukunft ist ein vollautomatisches City-Hub?

Huschebeck: Das könnte zumindest auf lagerfähige Waren zutreffen. Die könnten alle gebündelt werden, um sie zur Lieferung oder Abholung bereitzustellen. Dazu braucht es natürlich modulare Transporteinheiten, die ein schnelles Zusammenstellen unterschiedlichster Waren erlauben. Seit dem Projekt ,,MODULUSHCA" (Modular Logistics Units in Shared Co-modal Networks) schaue ich mir genau an, wie gepackt wird und habe festgestellt, dass modulare Mehrweg-Boxen in immer mehr Bereichen genutzt werden. Diese Bereiche sind dann geradezu prädestiniert für das PI, wo es ja darum geht, Waren in einheitlichen Boxen durch ein weltweites, offenes Logistiknetzwerk zu senden - so wie Informationen im Web durch offene Kanäle gesendet werden können. Unabhängig davon, wem welches Hub oder welches Fahrzeug gehört. Das wäre dann das Ziel der Kooperation, wenn alle alles nutzen. Aber das ist schon sehr weit voraus gedacht.

Mit einer Vereinfachung des Handlings lassen sich Bündelungseffekte erzielen und verlässliche Reisezeiten in der Stadt machen Transporte besser planbar in der Prozessabstimmung. Hinzu kommen unterstützende Maßnahmen durch die Stadt, wie Lieferzonen oder die Flexibilisierung von Restriktionen. ,,SMARTFUSION" hat gezeigt, dass eine durchgängige Kommunikation von städtischer Verkehrspolitik bis zum Fahrer möglich ist. Setzt man das in weiteren Städten um, gegebenenfalls mit auf die jeweilige Stadt angepassten Modifikationen, so lässt sich leichter planen und effizienter transportieren. Dann können auch die ehrgeizigen verkehrspolitischen Ziel (ampnet/Sm)

(Das auf vier Jahre angelegte Projekt ,,BESTFACT" (Januar 2012 bis Dezember 2015) wird im 7. Rahmenprogramm der EU finanziert. 18 Partner sind daran beteiligt, koordiniert wird es von der PTV. e umgesetzt werden.)

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