Tourentest: BMW R 1200 RS - Das Beste aus zwei Welten

Die tourensportlich konzipierte BMW R 1200 RS überzeugt auch auf langen Strecken durch ihre sehr gute Fahrdynamik, ihre feine Ergonomie und hohen Fahrkomfort.

Das Segment der klassischen Sporttourer ist in den letzten Jahren arg unter die Räder gekommen - vor allem die der Sports Adventure Bikes, die man als die ,,neuen Sporttourer" bezeichnen kann; typische Vertreter sind Ducati Multistrada 1200, Honda Crossrunner und neuerdings auch die BMW S 1000 XR. Fast erscheint es angesichts dessen als Wagnis, dass BMW der unverkleideten R 1200 R eine sportiv eingekleidete RS-Version zur Seite gestellt hat. Nach mehr als 2.000 Kilometern auf Land- und Bergstraßen sowie Autobahnen stellt sich die BMW R 1200 RS jedoch als echtes Universaltalent heraus: Sie vermag tatsächlich das Beste aus zwei Welten - nämlich Sport und Touring - zu vereinen.

Der 1.170 Kubikzentimeter große Zweizylinder-Boxermotor mit 92 kW/125 PS ist aus den vier anderen Modellen GS, GS Adventure, RT und R bestens bekannt. Er ist zweifellos der beste Boxer, den BMW je gebaut hat: kultiviert, leistungsstark bei niedrigen wie hohen Drehzahlen, drehfreudig und sparsam gleichermaßen. Weil auch die Übersetzung und der Antrieb mittels Einarmschwinge und Kardan - im BMW-Sprech EVO Paralever genannt - sehr gut funktionieren, darf man unter die Antriebskomponenten schlicht ein Häkchen setzen. Erst recht, wenn der optionale Schaltassistent Pro geordert wurde: Leichter und schneller flutschen Gangwechsel nicht. Lediglich das Einlegen des ersten Ganges verursacht oft ein unziemlich lautes Krachen.

Sympathisch ist trotz des relativ geringen Tankvolumens von 18 Litern die Reichweite der RS: Dank des maßvollen Benzinkonsums von um die fünf Liter sind 300 Kilometer am Stück fast immer möglich. ,,Fast" deshalb, weil bei Vollgas auf der Autobahn auch gut sechs Liter konsumiert werden können. Die Keyless-Ride-Funktion der Testmaschine, eine von zahlreichen Sonderausstattungsoptionen, integriert den Tankdeckel.

Deutlich mehr ist zum Fahrwerk zu sagen, das weitestgehend identisch mit dem der R 1200 R ist. Das bedeutet, dass das Vorderrad mittels einer Upside-down-Telegabel mit dem Stahl-Brückenrahmen verbunden ist. Dabei wurden Radstand und Nachlauf geringfügig verlängert, auch erhielt die Telegabel eine etwas härtere Grundabstimmung, um das verkleidungsbedingte Mehrgewicht an der Front zu kompensieren.

So geringfügig dieses Maßnahmenpaket klingt, so gut bewährt es sich: Die RS ist in der Praxis genauso leicht und präzise zu fahren wie die kompaktere R. Ihre Handlichkeit beeindruckt ebenso wie die ihr eigene Stabilität, sei es in Kurven oder bei hohem Tempo auf der Geraden. Sauber und präzise bewältigt sie Schräglagen, ohne irgendwie kippelig zu wirken. Und zwar sowohl solo als auch mit Gepäck; Gleiches gilt für das Fahren unter voller Beladung, also mit zwei Personen plus Gepäck. Die semiaktive, elektronisch arbeitende Fahrwerkseinstellung ist Teil des 1.430 Euro kostenden Touring-Pakets. Zur Wahl stehen dabei die Abstimmungen ,,Road" und ,,Dynamic"; letztere sorgt für ein präziseres, strafferes Fahrgefühl, ohne dass der Fahrer dabei in punkto Komfort gröbere Einbußen hinnehmen müsste.

Nicht ganz so zwingend wie die Anschaffung des Touring-Pakets erscheint die Zusatzausgabe von 590 Euro für das Dynamic-Paket; es umfasst neben LED-Tagfahrlicht und den kleinen LED-Blinkern auch den zusätzlichen Dynamic-Fahrmodus, was man als direktere Gasannahme beschreiben kann. Wird dieser gewählt, hängt der Boxermotor noch ein bisschen feiner am Gas, die Wege am Gasgriff sind kürzer. ,,Nice to have", lautet das Tester-Fazit.

Eher ein ,,Must-have" ist dagegen die im Dynamic-Paket ebenfalls enthaltene dynamische Traktionskontrolle, die wir als durchaus wichtiges Sicherheits-Merkmal empfinden. Die serienmäßige Stabilitätskontrolle ASC stellt lediglich einen konventionellen Anti-Schlupf-Assistenten dar, da sie ohne Schräglagensensoren auskommt. Unterm Strich erhält das Fahrwerk des Testfahrzeuges eine glatte Eins - beide Aspekte, sportives wie touristisches Fahren, bewältigt es mit Bravour. Sogar eine Eins mit Stern erhält die sehr leistungsfähige Bremsanlage: Einen Bremsweg von unter 37 Metern aus Tempo 100 machen nicht viele Motorräder möglich. Das sehr fein regelnde ABS gewährleistet dabei totale Fahrstabilität; dank der Teilintegral-Konstruktion werden bei Aktivierung des Handbremshebels nicht nur die zwei vorderen, sondern auch die hintere Scheibenbremse aktiviert.

Ergonomie ist seit Jahrzehnten eine Stärke von BMW Motorrad. Das unterstreicht die RS in vielerlei Hinsicht: Sitzposition wie Sitzkomfort passen dem Durchschnitts-Deutschen (knapp 1,80 m) bei der Standard-Sitzbank mit 82 Zentimetern Sitzhöhe, für Größere und kleinere Personen stehen insgesamt drei Alternativ-Sitzbänke zur Verfügung. Der Windschild lässt sich mechanisch in zwei Positionen arretieren; dazu genügt eine Hand. Bis etwa 50 km/h funktioniert das sogar in Fahrt, darüber ist der Winddruck auf der Scheibe zu hoch. Durch den Windschild bedingte Turbulenzen am Helm waren nicht festzustellen. Auch die Bedienungselemente erhalten ein Lob, wenngleich bei Nachtfahrten eine Hinterleuchtung der Schaltersymbole von Vorteil wäre. 

Die Reisetauglichkeit eines Motorrads hängt nicht zuletzt von den Möglichkeiten des Gepäcktransports ab. Jeweils 31 Liter fassen die soliden Seitenkoffer, deren Fixierung optisch unauffällig ist und die sehr einfach abgenommen bzw. festgemacht werden können. Die Innentaschen des Testfahrzeuges (Stückpreis 100 Euro) sind sehr hochwertig. Dasselbe Lob ist dem ebenfalls passgenau gefertigten, wasserdichten Tankrucksack auszusprechen, der sich leicht auf- und absetzen lässt, wenn die pfiffig konstruierten Fixierelemente angebracht sind. Auch ein Topcase ist lieferbar.

Alles in allem stellt die BMW R 1200 RS ein sehr ausgewogenes und wertiges Motorrad dar, das bis ins Detail zu überzeugen vermag. Dafür sei die abschließbar ausgeführte Navi-Halterung als Beispiel angeführt; die wichtigsten während der Fahrt nötigen Bedienungsfunktionen können zudem über den Multi-Controller am linken Lenkerende erledigt werden.

Technische Daten BMW R 1200 RS

Motor: Luft-/flüssigkeitsgekühlter Zweizylinder-Viertakt-Boxermotor, vier Ventile pro Zylinder, je Zylinder zwei obenliegende Nockenwellen, Hubraum 1.170 ccm, Leistung 92 kW/125 PS bei 7.750/min, Drehmoment 125 Nm bei 6.500/min, Sechsganggetriebe, Kardanantrieb.
Fahrwerk: Stahlrohr-Brückenrahmen, Motor mittragend, vorne Upside-down-Teleskopgabel, hinten BMW EVO Paralever; radial angelenkte Doppelscheibenbremse vorn 320 mm, hinten Einscheibenbremse 276 mm; Leichtmetallgussräder, Reifen vorne 120/70 ZR 17, hinten 180/55 ZR 17.
Maße und Gewichte: Radstand 1.530 mm, Lenkkopfwinkel 62,3°, Sitzhöhe 820 mm (alternativ zwischen 760 und 840 mm), Leergewicht in Vollausstattung ohne Koffer 242 kg, Tankinhalt 18 Liter.
Assistenzsysteme:BMW Motorrad Integral ABS (serienmäßig, teilintegral, abschaltbar), Stabilitätskontrolle ASC, Fahrmodi ,,Rain" und ,,Road", a.W. zusätzlich Fahrmodi ,,Dynamic" und ,,User", Dynamic-ESA (semiaktive Fahrwerkseinstellung), schräglagenabhängige Traktionskontrolle DTC, Schaltassistent Pro, Keyless Ride.
Messwerte: Höchstgeschwindigkeit 233 km/h, Beschleunigung 0 - 100 km/h: 3,3 sek; Praxis-Verbrauch Landstraße 5 bis 5,5 Liter/100 km, Autobahn 6 bis ,5 Liter/100 km.
Preis: ab 13.500 Euro; voll ausgestattetes Testfahrzeug ca. 16.600 Euro zzgl. Nebenkosten.
 

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