Fahrbericht: Zero SR - Die zieht die Wurst vom Teller

Die jüngste Version des kalifornischen Elektromotorrads Zero SR hat technisch enorme Fortschritte gemacht und darf jetzt - mit Ausnahme der Reichweite - als vollwertiges Überland-Motorrad gelten.

Schon seit 2010 müht sich die US-Firma Zero Motorcycles, ihre Elektromotorräder in Mitteleuropa abzusetzen - bislang mit überschaubarem Erfolg. Gerade mal 90 Fahrzeuge erhielten 2014 in Deutschland ein amtliches Kennzeichen. Und doch darf man das positiv sehen, denn im Jahr zuvor waren es erst acht. Nach dem ersten Test der Zero SR des Modelljahres 2015 würde es nicht wundern, wenn die Absatzkurve weiterhin steil nach oben ginge: Der aktuellen Zero SR können nunmehr mit Fug und Recht Motorradqualitäten attestiert werden. Sowohl die Leistungselektronik wie auch motorradtechnisch sind gegenüber dem Vorjahresmodell deutliche Verbesserungen gegeben. Einzig die Reichweite dürfte noch größer sein: Je nach Fahrstil muss die Zero SR nach 100 bis 130 Kilometern an die Steckdose.

Zero mit Europa-Sitz im niederländischen Alkmaar hat sich im vergangenen Jahr zu einer Radikalkur entschlossen: Sämtliche bisher verwendeten Fahrwerkskomponenten wurden ausgemustert, dafür kommen nun hochwertige Federbeine und UDS-Telegabeln des renommierten japanischen Herstellers Showa zum Einbau. Auch für die Bremsanlage hat man einen neuen Zulieferer gefunden, zudem wird sie durch ein Bosch-ABS ergänzt. Da auch die Fahrwerks-Grundabstimmung sorgfältig gewählt wurde, lässt sich die Zero SR jetzt ohne Einschränkungen als vollwertiges Naked Bike über Land pilotieren. Sie lenkt leicht ein, durcheilt Kurven aller Radien stabil und lässt sich dank des sehr guten Knieschlusses im schmalen ,,Tank"-Bereich und des relativ geringen Gewichts von 188 Kilogramm leicht dirigieren. Auch der angenehm breite Rohrlenker sowie die ergonomisch absolut zufriedenstellende Sitzposition tun das Ihre, dass Zero-fahren zum echten Spaß geworden ist.

An Leistung hat es schon bisher nicht gemangelt. Die Leistungsabgabe freilich ist noch spontaner geworden, so dass trotz der bescheidenen Nominalleistung von nur 16 kW/22 PS - dafür genügt der Führerschein A2 - fulminante Fahrleistungen geboten sind: Zero gibt 3,3 Sekunden für den Sprint von 0 auf 100 km/h an! Wir haben nach vier ,,Tank"-Füllungen keinen ernsthaften Zweifel, dass diese normalerweise an die 160 PS erfordernden Beschleunigungswerte tatsächlich realisierbar sind. Die Zero SR, deren Maximalleistung mit 50 kW/67 PS angegeben wird, zieht tatsächlich ,,die Wurst vom Teller". Auch Überholvorgänge beispielsweise aus 90 km/h heraus sind innerhalb weniger Sekunden absolviert.

Da die hell surrenden Geräusche des Elektroantriebes oberhalb von 50 km/h von den Windgeräuschen total übertönt werden, erscheint das Fahren mit der Zero SR über Land subjektiv als lautlos. In Verbindung mit der beeindruckenden Fahrdynamik bietet dieses E-Bike ein Fahrgefühl, das aktuell einzigartig ist - wenn es denn sein muss bis 164 km/h. Ja, die Zero SR ist, wenn der Fahrer Leistung abfordert, pfeilschnell. Konventionelle Motorräder müssen reichlich Leistung aufweisen, um einer engagiert gefahrenen Zero SR gewachsen zu sein.

Fahrdynamisch ist also alles in Butter. Sehr gut gefallen jetzt auch die Leistungselektronik und deren Steuerung. Denn nun zeigt die Reichweitenanzeige absolut korrekt und verlässlich an. Die abrufbare Leistung wird erst in dem Moment vermindert, wenn die Vorratsanzeige auf null Prozent gesunken ist. Danach konnten wir noch gut zehn Kilometer mit Geschwindigkeiten zurücklegen, wie sie in bebautem Gebiet angemessen sind. Die Zero SR des Modelljahres 2015 ist also eine verlässliche Partnerin.

Angesichts der beeindruckenden Fahrdynamik wie auch des nunmehr absolut einwandfreien Fahrwerks und der guten Bremse ist durchaus vorstellbar, mit der Zero SR echte Ausflugstouren zu unternehmen. Die Crux ist freilich, dass diese Touren ausschließlich Kurzausflüge sein können: Wer im Sport-Modus ordentlich ,,am Kabel zieht", muss nach 100 Kilometern Strecke wieder an die Steckdose. Nutzt man den Eco-Modus (hier ist die Leistung fühlbar reduziert und das Höchsttempo auf 120 km/h limitiert) und hält sich konsequent an die Verkehrsvorschriften, sind 130 Kilometer Fahrstrecke möglich. Wer freilich dieserart eine Zero SR pilotiert, verzichtet auf den Fahrspaß, den dieses Elektromotorrad vermitteln kann.

Unterwegs nachladen ist nicht wirklich hilfreich: Die Ladezeit ist beträchtlich: Mehr als 1,3 kWh pro Stunde fließen nicht in den Akku, so dass man in einer Stunde Ladezeit nicht viel mehr als 11 Kilometer Fahrstrecke gewinnt. Für den vollkommen leer gefahrenen Akku registrierten wir eine Ladedauer von gut neun Stunden.

17.840 Euro berechnet Zero für die 2015er SR. Ob der Spaß, mit einem lokal emissionsfreien und dazu fast lautlosen Motorrad unterwegs zu sein, diese Investition rechtfertigt, muss jeder selbst entscheiden. Keine schlechte Idee ist es nach unserer Ansicht, 658 Euro draufzulegen und ein zusätzliches Schnellladegerät zu erwerben, mit dessen Hilfe die Ladezeit auf fünf Stunden sinkt. Dann wird eine zweite Tour am Tag möglich. Der Kollege auf dem konventionellen Motorrad kommt natürlich deutlich weiter - aber er zahlt auch mehr für den Treibstoff: Bei der Zero SR kostet eine Akkuladung nur rund drei Euro, also ungefähr so viel wie zwei Liter Benzin. Klar, kein Argument angesichts des Kaufpreises. Aber es fühlt sich trotzdem gut an.
Technische Daten Zero SR:
Motor: Passiv luftgekühlter bürstenloser Permanentmotor, Nominalleistung 16 kW (21,8 PS), max. Leistung 50 kW (67 PS) bei 4.000/min.; 660 A bürstenloser Drei-Phasen-Controller mit regenerativem Bremssystem. Kraftübertragung durch kupplungsfreien Direktantrieb ohne Schaltung; Sekundärantrieb durch Zahnriemen.
Akku: Lithium-Ionen-Batterie, maximale Leistung 12,5 kWh, nutzbare Leistung 11,0 kWh; integriertes Ladegerät 1,3 kW; Ladezeit total 9 Stunden. Kosten pro Ladung ca. 3 Euro.
Fahrwerk: Aluminiumrahmen; 41 mm USD-Gabel (voll einstellbar), Federweg 159 mm; hinten Zweiarmschwinge aus Leichtmetallguss, Zentralfederbein (voll einstellbar), 161 mm Federweg; 320 mm-Einscheibenbremse vorne, 240 mm-Einscheibenbremse hinten; Zweikreis-ABS. Reifen 110/70-17 vorne, 140/70-17 hinten.
Maße und Gewichte: Radstand 1.410 mm, Sitzhöhe 807 mm, Gewicht 188 kg.
Preis: 17.840 Euro (inkl. Nebenkosten); zusätzlicher Power-Tank (2,5 kWh) 2.380 Euro, Schnellladegerät 658 Euro.

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