Genfer Autosalon 2015 - Großes Feuerwerk mit kleinem Schatten

Die Autobranche zeigt in Genf, was sie am besten kann: schnelle, starke und modische Fahrzeuge bauen. Der Megatrend der Zukunft ist aber ein anderer.

 Die Autoindustrie trumpft auf dem Genfer Salon mit ihren klassischen Stärken auf: viel PS, rassiges Design und immer ausgefuchsteres Fahrverhalten kennzeichnen die Modellneuheiten für das kommende Jahr. In Wahrheit geht es aber zunehmend weniger um kW und PS. Bits und Bytes werden die klassischen Kenngrößen immer mehr ablösen.

Ob Kleinstwagen oder Supersportler - kein neues oder auch nur geliftetes Modell kommt heute mehr ohne Internet- und Smartphone-Anschluss aus. Der Debütant Opel Karl (ab 55 kW/75 PS, 9.500 Euro) integriert das Handy genauso im Bordsystem des Autos wie die zweite Auflage des  Audi R8 (ab 397 kW/540 PS, 165.000 Euro).  Beim ebenfalls in der Schweiz debütierenden VW Touran II zählt das neue vernetzte Infotainment neben leichtem Platzzuwachs und Gewichtsverlust gar zu den wichtigsten Veränderungen. Auch eher kleinere Hersteller wie Jaguar Land Rover krempeln nach jahrelanger Vernachlässigung ihre digitalen Nutzeroberflächen um.

Dass die forcierte Vernetzung nur der Anfang einer Entwicklung ist, lässt sich in Genf ahnen, wenn man genauer hinhört. Denn neben den physisch vorhandenen Modellen geistern auch zwei Phantome durch die Hallen des Palexpo-Centers: das Google Car und das Apple iCar. Noch gibt es ersteres nur in Kleinstauflage und zweites lediglich als Idee - doch Gesprächsthema ist das autonom fahrende Duo  an fast jedem Stand. Auch wenn sich  VW-Chef Martin Winterkorn und Daimler-Lenker Dieter Zetsche zuletzt demonstrativ unbesorgt über die mögliche künftige Konkurrenz geäußert haben, hat der Kampf um die Informations-Hoheit an Bord der Autos längst begonnen. An den im Auto anfallenden Nutzerdaten hängen die Geschäftsmodelle der Zukunft. Landen sie bei den IT-Multis, werden die Autohersteller zu reinen Hardware-Unternehmen. Und auch diese Position ist wackelig, sollten Apple und Google tatsächlich auch selbst in die Fahrzeugproduktion einsteigen.

Dass das aber nicht so einfach werden dürfte, zeigt die Branche in Genf mit immer weiter verfeinerten, technisch immer ambitionierteren Autos. Ferrari etwa treibt seinem 488 GTB mit Turboaufladung und kleinem Hubraum den Durst aus, Mercedes-Maybach zeigt mit dem S600 Pullman, was Handwerkskunst im Autoinnenraum schaffen kann und die Geländewagen-Studie Mercedes G500 4x4 hoch 2 akzeptiert mit seiner extrem höher gelegten Karosserie keine geologischen Grenzen mehr.

Flankiert wird die Hochleistungsschau einmal mehr von einem Massenauflauf der SUV - schon lange kein Trend mehr, sondern altbekannter Status Quo. Trotzdem  haben selbst große Marken Nachholbedarf: Renault etwa steigt nun mit dem Nissan-Qashqai-Ableger Kadjar erst relativ spät in der Boom-Markt der kompakten Crossover ein. Eine Klasse tiefer kämpfen Honda HR-V , Mazda CX-3 und Ssangyong Tivoli um ein Stück des wachsenden Mini-SUV-Segments. Und Audi will mit dem Plug-in-Hybrid-Luxusliner Q7 E-Tron belegen, dass auch große Allrader sparsam sein können. Gerade in den größeren Autoklassen ist ein derartiger Antrieb schwer in Mode, ermöglicht er doch als eine Art technischer Zwitter emissionsfreies Fahren wie mit dem Elektroauto, ohne auf eine große Batterie angewiesen zu sein. Ist der relativ geringe Stromvorrat erschöpft, wird einfach wie mit einem klassischen Hybridauto weitergefahren. War der Steckdosen-Hybrid bislang vornehmlich in den oberen Fahrzeugklassen zu finden, zieht er nun zunehmend auch in den zivileren Modellen ein, wie die Premieren entsprechender Versionen von VW Passat und Mercedes C-Klasse zeigen.

In dem schweizerischen PS- und SUV-Feuerwerk könnten die wenigen anderen Vernunftautos schnell untergehen. Dass sie es nicht tun, liegt auch an BMW. Bisher eher am anderen Ende der Rationalitäts-Skala unterwegs, legen die Münchner mit dem 2er Gran Tourer  nun ihr erstes dezidiertes Großfamilienauto auf. Anders als der kürzere Van 2er Active Tourer gibt es ihn auch mit sieben Sitzen; der Spott- Ausdruck vom ,,Pampersbomber" ist da nicht mehr weit. Doch die Münchner füllen nur konsequent die Lücken, die nach dem kreativen Beackern sämtlicher Crossovernischen (von X6 bis 3er GT) im Modellprogramm noch übrig waren. Das Schließen der Leerstellen im Angebot - vor allem mit Crossover-Modellen  - ist auch so ein Branchentrend. In Genf ist er aber schwächer ausgeprägt als auf den zurückliegenden - und auch wohl den kommenden - Messen. Die neuen modularen Fahrzeugarchitekturen werden da in Zukunft sicher noch weitere Modell-Mischungen gebären. Im Kampf um Anteile auf einem gesättigten europäischen Markt ist das  ein probates Mittel. Auch wenn das gegen die schwebende Bedrohung durch Apple und Google nicht hilft, einem anderen, bekannteren, Konkurrenten könnte dies das Eindringen in den Markt noch  schwerer machen: den chinesischen Herstellern.

Auch wenn der große Angriff aus dem Reich der Mitte bislang ausgeblieben ist: Zumindest der chinesische Hersteller Qoros hat sich in Genf einen festen Platz erkämpft. In diesem Jahr präsentiert die Marke ein Kompakt-SUV, das irgendwann mal auch in Deutschland auf den Markt kommen könnte. Und auch eine neue, alte Marke ist in der Schweiz am Start. Mit chinesischem Geld plant Borgward  die Wiederauferstehung nach dem Konkurs Anfang der 60er-Jahre. Für die Chinesen könnte das einen Fuß in der Tür nach Europa  bedeuten, für Gründer-Enkel Christian Borgward die Renaissance seines Familienunternehmens. Ob das klappt, steht allerdings in den Sternen. Genauso wie die Zukunft der Branche - zwischen immer strengeren Emissionsvorgaben, mächtiger branchenfremder Konkurrenz und neuen Geschäftsmodellen. Antworten auf die Fragen der Zukunft hat der Genfer Salon nicht. Aber zumindest strahlt die Gegenwart diesmal besonders hell. 

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