Panorama: Elektrischer Messerschmitt - Zukunft in alten Gewändern

Früher war der Messerschmitt Kabinenroller der Käfer des einfachen Mannes. Jetzt entdeckt ihn die Öko-Avantgarde und bringt den Schmalspurflitzer als Elektrofahrzeug zurück. Die Technik ist simpel und die Fahrleistungen sind bescheiden. Aber der Spaß ist riesig.

Das kommt davon, wenn man auf seine Gesundheit achtet und einem die Umwelt lieb und teuer ist: Weil Fred Zimmermann  irgendwann keine Lust mehr hatte, regelmäßig ins Fitnessstudio zu rennen und weil ihm ein Auto für die paar Kilometer zur Arbeit nicht in den Sinn kam, hat der Odenwälder jetzt keine freie Minute mehr. Denn weil angesichts des mäßigen Wetters im hessischen Süden auch ein Fahrrad nicht in Frage kam und die Steigungen im Odenwald für Muskelkraft alleine doch ein bisschen zu steil sind, hat der gelernte Grafiker kurzerhand sein eigenes Gefährt entwickelt: Ein Fahrrad mit elektrischem Hilfsmotor und einer Kunststoff-Karosserie drum herum. Dummerweise bleibt ihm jetzt kaum mehr Zeit, damit durch Südhessen zu surren: Denn er hat offenbar den Geschmack so vieler Gleichgesinnter getroffen, dass der Freizeit-Entwickler jetzt neben seinem Job mal eben eine Fahrzeugproduktion aufbauen muss.

Als Vorlage hat er sich dabei den Messerschmitt Kabinenroller ausgesucht. ,,Form und Fahrgefühl faszinieren mich schon seit Jahren", schwärmt Zimmermann über das Mini-Mobil aus der Wirtschaftswunderzeit. ,,Nur konnte ich mir nie ein Original leisten." Was lag deshalb näher, als sein Pedelec jetzt in eine - zugegebenermaßen etwas freizügige - Neuinterpretation des Klassikers zu stecken.

Genau wie früher klappt man deshalb erst das Dach zur Seite, steigt dann über die hohe Brüstung vorsichtig ein wie in eine Badewanne und surrt mit einem so breiten Grinsen durch den Verkehr, dass man schon wieder ein bisschen vorsichtig sein muss. Nicht umsonst ist Zimmermanns erster Prototyp noch ein Cabrio, und bis auch die geschlossenen Varianten fertig sind, hat man ruckzuck Fliegen zwischen den Zähnen. 

Zwar sitzt man genauso wie früher und fühlt sich zwischen echten Autos im Veloschmitt ähnlich verloren wie im originalen Kabinenroller. Doch ansonsten ist alles anders. Denn unter der Plastikkarosse tuckert diesmal kein Verbrenner. Wie beim Pedelc hat Zimmermann vielmehr vorn zwei Pedale, hinten einen 4 kW starken Radnaben-Motor und dazwischen eine Kardanwelle und ein Automatikgetriebe montiert. Je nach Software-Setup und Führerschein unterstützt die E-Maschine den Fahrer bis Tempo 25 beim Strampeln oder bringt den rund 60 Kilo schweren Retro-Renner auch alleine in Fahrt - dann sogar mit bis zu 45 km/h. Erst wenn nach maximal 60 Kilometern der Lithium-Ionen-Akku leer ist, muss man für sechs Stunden an die Steckdose - oder doch selbst in die Pedale treten.

Dass aus der Idee jetzt ein Geschäft wird und noch in diesem Jahr zu Preisen um 8.000 Euro die ersten Kundenfahrzeuge ausgeliefert werden, verdankt Zimmermann nicht zuletzt einer Internet-Bekanntschaft. Denn in einem Pedelec-Forum ist er auf Achim  Adlfinger gestoßen. Der deutsche Auswanderer lebt in Spanien, betreibt im slowenischen Ljubljana eine auf den Bau von Kunststoffkarosserien spezialisierte Firma und hat die Industrialisierung von Zimmermanns Idee übernommen: Mit verfeinertem Design und automatisierter Karosserieproduktion hat er die Bauzeit auf einen Tag reduziert und träumt bereits von einer Jahresproduktion in den Tausendern. Erst einmal wollen Zimmermann und Adlfinger allerdings klein anfangen: ,,Wir bauen zunächst eine Serie von 200 Fahrzeugen", sagen die Erfinder und sind guter Dinge, dass sie die auch loswerden. ,,Immerhin haben wir die ersten zehn Exemplare bei der Weltpremiere auf einer Fahrradmesse schon am ersten Wochenende verkauft."

Wie gut sich der Kabinenroller als Öko-Auto eignet, weiß auch Jens Broedersdorff. Gemeinsam mit seinem Kompagnon Uwe Koenzen betreibt er bei Hilden die Firma Classic eCars und macht schon seit ein paar Jahren Oldtimer fit für die Zukunft. Dabei bauen die beiden Tüftler mit dem grünen Gewissen nicht nur Spielzeuge für Klassik-Freunde, die keine Ölflecken mehr auf ihrem Garagenboden sehen wollen. Sondern sie sind immer mal wieder auch bei Öko-Rallyes engagiert. ,,Entwickelt mir ein Auto, mit dem ich dort siegen kann", lautete der Auftrag eines solventen Kunden, der mit Platz Drei für seinen konvertierten Jaguar E-Type beim prestigeträchtigen Future Car Run von Brighton nach London nicht zufrieden war.

,,Also haben wir uns lange Gedanken über die ideale Form gemacht, viel über Luftwiderstand und Gewicht nachgedacht und sind am Ende fast zwangsweise beim Kabinenroller gelandet", erzählt Broedersdorff. ,,Denn es gibt kaum ein Fahrzeug mit einer effizienteren Form." Nicht umsonst war auch der erste Prototyp des VW XL1 nur eine moderne Interpretation des Kabinenrollers, bevor das Auto in die Breite ging.

Zwar war der Kunde von der Idee anfangs nicht so recht begeistert. Denn wer mal Jaguar E-Type gefahren ist, dem kann man den Käfer des armen Mannes nur schwerlich schmackhaft machen. Doch die Kalkulation ging offenbar auf: Nachdem Broedersdorff und Koenzen den Einzylinder rausgeworfen, eine E-Maschine ins Heck geschraubt und genauso viele Akkus in die schlanke Karosse gepackt haben, dass der Strom bis nach London reichte, fuhr der eSchmitt noch vor den ganzen Prototypen der Autohersteller als erster ins Ziel und entschied in der noblen Regent Street gleich auch noch die Charme-Wertung des Publikums für sich.

Genau wie Zimmermann wurden Broedersdorff und Koenzen danach allerdings ein wenig von den Ereignissen überrollt. ,,Denn plötzlich war das Interesse am elektrischen Kabinenroller riesig groß", erinnert sich Broedersdorff. So entstand die Idee von einem Nachbau des grünen Gleiters, der nun Anfang nächsten Jahres in den Handel kommen soll.

Mit dem Veloschmitt aus dem Odenwald hat dieses Projekt allerdings nicht viel mehr als die Grundidee gemein. Denn wo Zimmernmann auf der Retrowelle radelt und der elektrische Hilfsmotor mit seinen fünf PS gerade einmal 45 km/h schafft, surrt der erste Prototyp des eSchmitts mit bis zu 110 km/h über die Landstraße - kein Wunder bei 20 PS und kaum mehr als 200 Kilo Gewicht. Auch die Reichweite ist mit 120 Kilometern glatt doppelt so groß, und selber treten muss man auch nicht.

Broedersdorff  und Koenzen denken sogar noch weiter: Sie planen eine Art Baukasten, wollen den Kabinenroller als Roadster, als Cabriolet oder mit Glasdach anbieten und den vierrädrigen Messerschmitt Tiger elektrifizieren. Außerdem liebäugeln sie mit Leistungsstufen von 15 oder 25 PS, die sich durch einen zweiten Motor auch noch verdoppeln lassen: ,,Dann wären bis zu 170 km/h drin", gerät Broedersdorff ins Schwärmen. Und weil auch die Akkus skalierbar sind, soll der eSchmitt im besten Fall 350 Kilometer schaffen.

Allerdings hat die Sache einen Haken: den Preis. Weil allein die in tagelanger Handarbeit aus dem blanken Blech gedengelte Alu-Karosse  des eSchmitt viele Tausend Euro kostet, kalkulieren Broedersdorff und Koenzen fürs erste mit einem Grundpreis von 50.000 Euro. Dem Interesse tut das offenbar keinen Abbruch, sagt Broedersdorff: ,,Die ersten Bestellungen liegen bereits vor."

Trotzdem weiß er, dass er mit diesen Preisen nur einen sehr kleinen Kundenkreis erreichen kann und hat deshalb ausgerechnet Kontakt mit Veloschmitt-Erfinder Zimmermann aufgenommen: ,,Wenn wir von dort eine Kunststoffkarosserie bekommen würden, könnten wir unser Fahrzeug sehr viel billiger anbieten", spekuliert Broedersdorff: Schließlich weiß Zimmermann ja, wie man einen Kabinenroller baut.

Alte Ideale, neue Technik und dann auch noch eine freie Interpretation beim Design - in der Regel bringen solch revolutionäre Gedanken die Traditionalisten auf die Palme. Doch die Kabinenroller-Szene tickt offenbar anders. ,,Jeder, der unseren Veloschmitt sieht, hat ein Lächeln im Gesicht und selbst ehemalige Messerschmitt-Testfahrer sind begeistert", erzählt Zimmermann von stundenlangen Fachgesprächen mit den Veteranen. Das hat jetzt sogar ein juristisches Nachspiel - diesmal allerdings mit gutem Ausgang. Denn nachdem sich die Nachlassverwalter der Familie Messerschmitt und ihre Stiftung in das Projekt eingeschaltet haben, muss Zimmermann den Namen für seinen Veloschmitt ändern - und darf den Kabinenroller für die Zukunft ganz offiziell unter dem Namen Messerschmitt anbieten.

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