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Winterreifen-Tester: Nichts für Ungeduldige und Frostbeulen

Der Winter kann kommen: Nicht nur die Schoko-Weihnachtsmänner liegen längst in den Regalen der Supermärkte, auch die Reifenhersteller haben ihre Kältespezialisten in den Handel gebracht. Bis die Reifen dorthin kommen, haben sie lange Wege hinter sich. Einer davon führt nach Finnland.

SP-X/Ivalo, Finnland. Ähnlich wie die Handelskollegen von der Weihnachtsbäckerei platzieren auch die Reifenhersteller ihre Winterprodukte schon im Spätsommer in den Regalen ihrer Verkaufsorganisationen. Anders als Schokolade und Plätzchen dienen die runden Kältespezialisten aber nicht vornehmlich dem Genuss, sondern der Sicherheit. Sie sind nicht nur die einzige Verbindung zwischen Straße und Fahrzeug, sie müssen zudem bei den typischen mitteleuropäischen Winterverhältnissen mit Schnee, Eis, Regen und Trockenheit sowie bei Temperaturen zwischen minus 15 und plus 15 Grad ihr Können unter Beweis stellen.

Für Vincent Lopes sind daher Winterreifen die Königsdisziplin in der Reifenentwicklung. „Sie müssen mehr Kriterien erfüllen als Sommerreifen.“ Lopes arbeitet seit 2005 im Luxemburger Goodyear Innovation Center als Testfahrer und koordiniert mittlerweile die Winterreifen-Tests des Unternehmens. Zu den allgemeinen Sicherheits-, Leistungs- und Umweltparameter wie Rollwiderstand, Profilabnutzung, Bremsen und Handling auf trockener und nasser Fahrbahn sowie Aquaplaningverhalten kommen zusätzliche Tests auf Schnee, Schneematsch und Eis hinzu.

Um immer ideale Wintertestbedingungen vorfinden zu können, reisen der Mitdreißiger und sein Team das ganze Jahr über zum Schnee. Im November und Dezember sind sie in Finnland unterwegs, wenn im Januar üblicherweise in den Alpen der Winter einzieht, sind sie dort in den Bergen. Im Februar geht es wieder Richtung Norden und im Sommer steht das dann winterliche Neuseeland auf der Reiseliste.

Keine Frage, eine gewisse Reisefreudigkeit gehört zum Beruf des Winterreifentesters dazu und auch eine gewisse Leidensfähigkeit. In Skandinavien sehen die Goodyear-Mitarbeiter bis zu drei Wochen kein Sonnenlicht. In Neuseeland dagegen arbeiten sie oftmals nachts, um bessere Bedingungen zu haben und um sich mit den Kollegen in Europa direkter abzustimmen zu können. Nachtfahrten stehen aber auch in Europa auf dem Plan. Wenn die Wetterlage tagsüber keine stabilen Frostbedingungen ermöglicht, verlegt Lopes das Testprozedere in die kälteren Nachtstunden. Wichtig ist, dass die Wetter- und Temperaturbedingungen über einen längeren Zeitraum unverändert bleiben, so dass eine Vergleichbarkeit der Testergebnisse möglich ist.

Zuletzt hatten die Tester den neuen Goodyear Ultra Grip 9 sowie dessen Vorgänger, den Ultra Grip 8 und Konkurrenzreifen im Gepäck. Tests mit ihnen werden mit unterschiedlichen Reifengrößen und -sätzen und auf verschiedenen Fahrzeugtypen vom Kleinwagen bis zum Sportler absolviert.

Um die vergleichbare Ergebnisse zu produzieren, werden standardisierte Abläufe wieder und wieder abgespult. Zum Beispiel Bremsen auf Schnee: Zunächst begutachtet der Tester die Schneequalität, befreit die Pneus von Schnee, misst die Reifenluftdruck sowie deren Temperatur. Außentemperatur und Windgeschwindigkeit werden ebenfalls genau protokolliert. Dann geht es los: Der Fahrer beschleunigt auf Tempo 50, bringt das Auto zum Stillstand, der Bremsweg wird elektronisch gemessen. Anschließend geht es zurück zum Ausgangspunkt. Das Ganze wiederholt sich möglichst regelmäßig. Gangwechsel, Beschleunigungsverhalten und Bremsdruck sollten möglichst immer exakt ablaufen. Ein Testvorgang dauert ungefähr 15 Minuten. Danach werden die Reifen gewechselt – selbstverständlich gibt es auch hier genau zu beachtende Arbeitsschritte - und alles beginnt von vorne. Die Testergebnisse werden ins Luxemburger Entwicklungszentrum übermittelt und fließen die Optimierung des Mischungsverhältnisses oder der Lamellenanordnung ein.

Die objektiven Tests erfordern viel Geduld und Routine vom Fahrer. Die Ausbildung eines Winterreifentesters beginnt daher hier. Drei bis vier Jahre machen Neulinge nichts anderes. Wer hier ungeduldig wird oder nicht genau nach Vorschrift die Tests absolviert, ist für den Beruf nicht geeignet. Erst wenn sich ein Tester hier bewährt, darf er subjektive Tests fahren. Auf einer Handlingstrecke werden Einlenkverhalten, Grip oder Lastwechsel auf Schnee bewertet. Der Fahrer muss erklären können, was er „erfährt“. Nicht nur fahrerisches Geschick ist also wichtig, sondern auch technisches Verständnis. Im Idealfall haben die Fahrer daher ein Ingenieurstudium abgeschlossen.

Zwar können viele Vorgaben wie Lamellenanordnung oder das Mischungsverhältnis bereits im Vorfeld am Computer berechnet werden, aber ganz ohne die vielen praktischen Versuche kommen die Reifenentwickler nicht aus. Zu „unberechenbar“ sind noch die die Auswirkungen von verschiedenen Temperaturbedingungen oder Schneebeschaffenheit auf das Verhalten von Reifen. Der Beruf des Winterreifentesters wird es also noch eine Weile geben. Der nächste Wintertest für Lopes und sein Team ist daher schon geplant. Schließlich kommt der nächste Winter ganz bestimmt.

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